Ich und die Bacchanten
Heute ist Sonntag. Und ich erinnere mich wehmütig an
den vergangenen Sonntag - mein Wellness
Weekend. Noch vor einer Woche fühlte ich mich fit,
gesund und erholt. Von diesem Zustand war ich jetzt Lichtjahre
entfernt.
Denn heute fühlte ich mich alt - steinalt, sogar. Meine
Glieder schmerzten und mein Kopf drohte zu explodieren. Mein
Magen tat es. Und so schoss ein säuerlicher Brei aus
mir in die Keramikschüssel, die ich gerade noch erreicht
hatte.
Eigentlich hatte das Wochenende ganz harmlos begonnen. Es
beginnt immer ganz harmlos.
Am Freitag kam Lummer
mal wieder zu Besuch - Wohnungsinspektion. Anfangs tranken
wir noch Kaffee und aßen Lebkuchen - es ist ja die Jahreszeit
dafür.
Am frühen Abend verließen wir meine Wohnung und
gingen zum Türken um die Ecke, um eine Kleinigkeit zu
essen. Es gab eine Döner-Tasche für Lummer
und Lahmacun für mich. Mit einer anständigen Grundlage
versehen gingen wir weiter ins Mengwasser.
Zugegebenermaßen war ich in letzter Zeit ziemlich häufig
im Mengwasser. Aber ich mochte diesen Laden.
Ich mochte die Atmosphäre und das Publikum und ich mochte
das Becks-Bier. Außerdem kannte Lummer
das Mengwasser noch nicht und das war ja
schon Grund genug, um schon wieder dort aufzutauchen. Aber
eigentlich brauchte ich auch gar keinen Grund.
Ich trank Becks aus der Flasche und Lummer
Schumacher-Alt vom Fass. Wir diskutierten über allerlei
Blödsinn: Politik, Musik, Gesellschaft, Fußball
und Frauen. Vor allem Frauen!
Und weil es davon hier nicht die Richtigen gab, machten wir
uns auf den Weg, um einen Ort zu finden, wo es sie gab.
Wir gingen ins Bagel und ich fühlte
mich direkt unwohl. Normalerweise liebte ich das Bagel. Aber
an diesem Abend war es viel zu voll und wir fanden nur einen
sehr ungünstigen Platz in der hintersten Ecke beim Aquarium.
Dieser Platz war deshalb so ungünstig, weil die süße
Kellnerin ihn nur schlecht erreichen konnte und es auch nur
selten versuchte. Wir litten unter einer beängstigenden
Unterversorgung von Flüssigkeit. Eine Wüste konnte
nicht viel trockener sein. Ich hatte extrem Durst. Bierdurst!
Andererseits hatte das Bagel eine meiner
Erwartungen erfüllt. Den Ausblick auf schöne Frauen.
Aber ich konnte es nicht genießen. Ich fand es viel
zu voll. Zu unbequem. Zu stickig. Zu heiß. Ich litt
unter panische Klaustrophobie. Und ich hatte Bierdurst. Ich
war unleidig! Ich musste hier raus!
Der Abend war gelaufen und Lummer
und ich suchten unser Nachtlager auf.
Der nächste Tag begann mit einem ausgedehnten Frühstück.
Danach drängte mich Lummer,
der passionierte Meeresbiologe, in den Aquazoo.
Nach dem Studium der künstlichen Unterwasserwelten verabschiedete
sich Lummer und machte
sich per DB (Die Bahn) auf seinen Heimweg in die Studentenstadt,
in der er lebte.
Ich fuhr mit der Straßenbahn nach Hause und legte mich
erst einmal aufs Bett, um einen kleinen, erholsamen Mittagsschlaf
zu machen. Frauen nennen das Schönheitsschlaf. Allerdings
haben Frauen, die das so sagen, es eigentlich gar nicht nötig,
denn sie sehen auch verschlafen zauberhaft und sexy aus.
Um 17 Uhr, knapp zwei Stunden später, weckte mich mein
nervig-piepsender Braun-Wecker. Ich rappelte mich auf und
ging in die Küche um eine halbvolle Kanne Kaffee aufzusetzen.
Als die Maschine ihren Dienst aufnahm ging ich ins Bad und
nahm meine zweite Dusche für diesen Tag. Ich dusche täglich,
manchmal sogar mehrmals an einem Tag. Das ist so eine kleine
Marotte, wenn ich aus dem Bett entsteige, dann muss ich duschen.
Ist bestimmt nicht allzu gesund für den Säureschutzmantel
meiner Haut, aber mein Duschgel wurde von Dermatologen getestet
und für unbedenklich befunden.
Reanimiert setzte ich mich mit einer frischen Tasse Kaffee
auf mein Sofa, nachdem ich eine Scheibe von Frank
Zappa aufgelegt hatte. Es handelt sich um den Twoer
'Apostrophe / Overnite Sensation'. Zappa
ist reine Geschmackssache und ich hatte Geschmack.
Ich nahm einen Schluck heißen Kaffee und entzündete
eine Zigarette. Ich schmunzelte über den blödsinnigen
Text von 'Don´t Eat The Yellow Snow'.
Dann wandte ich mich Sarah zu.
Leider handelte es sich bei Sarah nicht
um eine klasse Frau, die neben mir lasziv auf dem Sofa saß,
sondern um einen Roman von J.T. LeRoy.
Für die nächsten Stunden war ich in Sarah, dem
Roman, versunken, trank Kaffee, rauchte Zigaretten und ließ
immer wieder die Zappa CD durchlaufen.
Kurz vor 22 Uhr verließ ich mein gemütliches Domizil,
um endlich mal wieder ins Mengenwasser
zu gehen - genau genommen: zu fahren, und zwar mit meinem
Hollandrad (Gazelle, City Bike, 7 Gänge, Trommelbremsen,
total unhip, aber praktisch, bequem und funktional).
Im Mengwasser traf ich die üblichen
Verdächtigen: Cris
und Caro, Bob
und sogar Luci. Außerdem waren da noch
Freunde von Bob. Insgesamt waren wir eine lockere Runde von
etwa sieben Partypeople. Und wir hatten großes vor.
Zu allererst natürlich Becks-Bier.
Wir tranken Bier und lachten. Und Luci
passte sich ganz wunderbar in die Runde meiner Freunde ein
und bereicherte sie sogar mit ihrem Witz. Ich verlor mich
in ihrem Anblick. Ich bewunderte ihre makellosen Gesichtszüge,
ihre neugiereigen und lachenden Augen, die geschwungenen Brauen,
ihre neckische Nase, das süße Kinn und diese vollen
roten Lippen, die ich gerne küssen würde.
Küssen stand aber leider erst einmal nicht auf dem Plan,
sondern Bier. Wir tranken und feierten uns und diese Nacht.
Ich fühlte mich, wie einer der Gefolgen des Bacchus
(Dionysos), des trinkfreudigen Gottes des Rausches.
Gegen 0:30 Uhr zahlten wir unsere Deckel
und strömten raus auf die Straße, um ein Taxi zu
entern, das uns ins Les Halles befördern
sollte.
Das Les Halles war zurzeit eine angesagte
Disco, in die man ging - Les
Halles war hip.
Die Räumlichkeiten dieser Disco, des Les Halles,
waren natürlich auch kein magischer Ort. Aber sie waren
sehr gut besucht und mindestens die Hälfte des Publikums
bestand aus aufreizenden Wesen des anderen Geschlechts.
Aber ich hatte keine Augen für all diese Verführungen.
Ich hatte nur Augen für Luci.
Ich folgte Luci. Verfolgte jede ihrer Bewegungen.
Fühlte mich dabei wie ein Idiot, weil ich sie nicht stellte
und ihr meine Gefühle gestand. Statt dessen trottete
ich ihr hinterher, immer mit einem Bier
in der Hand.
Je älter der Abend wurde, umso betrunkener wurde ich.
Alle Leute um mich herum hatten Spaß. Und ich ja irgendwie
auch. Der Unterschied war, die anderen, die echten Partypeople,
tanzten und lachten, ich irrte herum und trank Bier.
Irgendwann irrte ich nicht mehr herum, sonder fiel kläglich
in mich zusammen. Der Alkohol hatte mich erledigt - ich hatte
mich mal wieder selbst erledigt. Blackout!
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