Hirntot
Ich wachte auf. Wie jeden Morgen. Soweit nichts Besonderes.
Aber wenn ich auswache liege ich im Bett. Normalerweise! Diesmal
nicht. Diesmal lag ich im Eingang eines Hauses. An einer Straße.
War ich schon mal auf der Straße aufgewacht? Ich konnte
mich nicht erinnern. Ich konnte mich an nichts erinnern. An
gar nichts.
Ich richtete mich auf. Kam auf die Beine. Sah mich um. Viele
Fahrzeuge auf der Straße. Und Menschen. Menschen über
Menschen. Alle in Bewegung. Eifrig. Zielstrebig. Leicht verblödet.
Ich stand nur da. Nicht eifrig. Auch nicht zielstrebig.
Aber verblödet. Nicht nur leicht, völlig. Total!
Ich wusste nichts mehr.
Ich wusste nicht, wo ich war. Nicht wie ich hergekommen war.
Und vor allem nicht, wer ich war. In meinem Kopf gab es nichts
als Nebel.
Der Nebel fing an sich zu lichten. Langsam. Sehr langsam.
Mir fiel was ein. Ich war Hank. Hank
Dust. Frage: Wer war
Hank, Hank Dust?
Ich erkannte das Haus vor dem ich stand, hier wohnte ich
seit ein paar Wochen. Ich betrachtete die Klingelleiste. In
der obersten Reihe stand Dust. Ich klingelte und wartete.
Es passierte nichts. Ich griff in meine rechte Jackentasche.
Ich holte einen Schlüsselbund heraus. Ich wählte
ganz selbstverständlich einen Schlüssel aus und
führte ihn ins Schloss. Die Haustür öffnete
sich und ich trat ins Treppenhaus. Ich stieg die Stufen empor.
Auf jeder Etage las ich die Türschilder. In der vierten
und letzten stieß ich auf eine Wohnungstür an der
auf einem Messingschild Dust stand. Ich hatte wieder den passenden
Schlüssel zur Hand und betrat die Wohnung.
Ich streifte meine Jacke ab und ließ sie auf den Boden
sinken. Ich ging in die Küche und nahm mir eine Flasche
Hitchcock Orangensaft aus dem Kühlschrank. Dann ging
ich ins Wohnzimmer. Zum CD-Regal. Ich griff wahllos hinein.
Legte die CD in den Player. Ich setzte mich in einen Sessel.
Es erklang ein Klavier. Dann eine verhaltene Gitarre. Ich
rätselte, was ich da hörte. Dann setzte der Gesang
ein. Es war die unverwechselbare Stimme von Kurt Wagner. Lambchop.
Das famosen Album 'Is A Woman'. Das passte,
irgendwie.
Ich nahm einen großen Schluck aus der Flasche. Auf
dem Tisch vor mir lag ein Softpack Marlboros. Ich fingerte
eine Zigarette heraus und entzündete sie mit einem Streichholz.
Als sich meine Lungen mit Rauch füllten und das Nikotin
mein Hirn erreichte, lehnte ich mich zurück und dachte
nach.
Wie war ich vor meinen Hauseingang gekommen? Warum war
ich auf der Straße erwacht? Warum konnte ich mich an
nichts erinnern? Was war gesehen?
Mein Hirn spuckte keine zufrieden stellenden Antworten aus.
Es war zum Haare raufen. Ich raufte mir die Haare. Ich nahm
noch einen Schluck Orangensaft. Ich stellte die Flasche zurück
auf den Tisch. Dann sah ich, wie eine rote Flüssigkeit
an dem Glas der Flasche hinunter kroch. Ich sah mir meine
Hand an. Sie war verschmiert. Blut verschmiert. Ich taste
vorsichtig meinen Hinterkopf ab. Meine Finger trafen auf Haare.
Etwas weiter oben fühlte es sich feucht und seltsam weich
an. Ich erschrak. Ich zog meine Hand zurück vor die Augen.
Blut. Mir wurde schummrig.
Mich beschlich die verstörende Gewissheit, dass ich
Hilfe brauchte. Professionelle Hilfe. Medizinische Hilfe.
In mir stieg Panik auf. Mir wurde übel.
Ich orderte per Telefon ein Taxi. Danach zog ich panisch
meine Jacke an und flüchtete hinaus auf die Straße.
Ich wartete. Ungeduldig. Mir wurde kalt. Ich frohr. Ich ging
auf und ab. Das Taxi kam. Ich stieg ein und sagte zu dem Fahrer:
'Ich weiß, Sie haben das schon tausendmal gehört,
aber das ist wirklich ein Notfall. Bringen Sie mich umgehend
in die nächste Notaufnahme. Hier haben Sie 20 Euro, das
sollte reichen. Ich habe eine schwere Kopfverletzung. Ich
habe eben mit meinen Fingern mein eigenes Hirn abgetastet.
Fahren Sie!'
Der Fahrer hatte meine Worte verstanden und reagierte angemessen.
Wir fuhren mit quietschenden Reifen los. Dann verlor ich das
Bewusstsein.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einem Krankenhausbett.
Die Wände waren kahl. Das Licht war kalt. Es herrschte
Totenstille. Ich war allein. Mein Kopf war bandagiert und
tat weh.
Wieder einmal wusste ich nicht, was gesehen war. Aber ich
war zu müde, um weiter zu grübeln. Ich wollte schlafen,
nur schlafen. Das kalte Licht würde mich daran nicht
hindern können. Ich war einfach nur müde.
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