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home » tagebuch » 08.07.2004
TAGEBUCH: 08.07.2004 notes of a dirty old man
Lethargie
Lethargie Zoom

Lethargie

In den letzten Tagen hatte ich mich rar gemacht. Ich fühlte mich unleidlich. Alles war mir zu viel. Ich war mir zuviel. Ich brauchte Zeit, Raum und Ruhe. Um meinen Gedanken nachzugehen und um in meinem eigenen Saft zu schmoren.

Wenn ich morgens aufwachte, fühlte ich mich matt und gar nicht ausgeschlafen. Mir fiehl kein zwingender Grund ein, mein warmes Bett zu verlassen. Trotzdem schälte ich mich aus den Kissen und schleppte meine müden Knochen in die Küche, um mir Kaffe zu kochen. Diesem Ritual konnte ich nicht entkommen, außerdem gab es keine Alternative. Wie sollte ich sonst meine Lebensgeister aktivieren? Koks war einfach zu teuer, außerdem hält sich das Gerücht, dass es auf Dauer noch ungesünder sei als Koffein.

Während ich kaffeetrinkend und rauchend auf dem Sofa saß, starrte ich in den Raum, aber eigentlich ins Nichts. Ein Tag war wie der andere und alle waren sie leer. Ich dachte über die Notoperation nach und fühlte mich steinalt und wie ein Krüppel. Mir fehlte eine Niere. Das war nicht zu vergleichen mit einem schnöden Schnupfen oder einem blauen Daumennagel. Das war irgendwie beängstigend ernsthaft. Dazu fiel mir auch kein Witz ein. Ich war nur noch ein halber Mensch.

Ein Tag hat 24 Stunden. 'Immer! Und überall!', würde Professor Dr. Dr. Dr. Augustus van Dusen wahrscheinlich sagen. Aber Zeit ist eben auch relativ. Sie kann sehr lang werden, wenn man nicht weiß, was man mit ihr anstellen soll bzw. was man mit sich anstellen soll. Ich kam auf die groteskesten Ideen, um die Langeweile zu vertreiben. Als erstes räumte ich meine Wohnung auf. Natürlich das große Programm mit Fenster putzen, Türen Schränke und Regale abwaschen und Kaffeemaschine entkalken. Nach der Durchsicht und Kategorisierung meiner Zeitungen, Zeitschriften und Magazine stieg ich hinab in den Keller und sah die ganzen Kartons durch, die ich einmal mit der festen Absicht gepackt hatte, dass sie erst wieder in 1000 Jahren von Archäologen geöffnet werden würden.

Während ich mich damit ablenkte, meiner kleinen Welt (irgend)eine Ordnung zu verleihen, schrillte das Telefon und störte mich in meinem autistischen Aktivismus. Ich dachte gerade darüber nach, ob man selber eigentlich merkt, dass man wahnsinnig wird. Wahrscheinlich nicht. Eigentlich tröstlich, dachte ich und schaltete mein Hirn in den Leerlauf. Es war so einfach. Die Kartons trugen Namen. Ich brauchte sie nur entsprechend zu befüllen und dann zu stapeln. Und eigentlich spielte das alles auch gar keine Rolle, gab mir aber ein Gefühl von Sicherheit. Nun wurde ich gestört. Das Telefon klingelte unüberhörbar. Ich ärgerte mich über mich, weil ich es überhaupt mitgenommen hatte. Ich sah es an und weigerte mich abzunehmen, aber ich war nicht stark genug. Meine Neugier war mir peinlich, aber ich wollte wissen, wer der Anrufer war. Ich nahm ab.

'Ja?'

'Ja!'

Ich schwieg und wartete ab. Aber ich konnte nichts hören. Je länger das Schweigen anhielt, desto unsicherer wurde ich. Wer war am anderen Ende? Man ruft doch niemanden an, um zu schweigen. Es sei denn, man ist ein perverser Telefon-Terrorist. Es blieb still. Ich merkte, wie in mir langsam Ungeduld und Ärger aufstieg. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus.

'Ja! Hi! Was gibt's?'

'Ich verlasse Deutschland!'

'Was? Ich meine, warum?'

'Na ja...'

Die Stimme verstummte wieder. Es war eindeutig eine weibliche Stimme und sie hatte meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Ich versuchte der Stimme ein Gesicht zuzuordnen, aber es gelang mir nicht.

'...ich brauche einen Tapetenwechsel! Außerdem ist es eine echte Chance für mich.'

'Dann mach es!', erwiderte ich. Mein Hirn schlug Purzelbäume, bis in mir das Gesicht von Julia aus einem Nebel von Unwissenheit aufstieg.

'Julia?'

'Ja?'

Jetzt hatte ich Gewissheit! Julia war die unerwartete Gesprächspartnerin. Meine Knie wurden schlagartig weich und in meinem Magen begann ein Boxkampf. Ich nahm irritiert zur Kenntnis, dass Julias Stimme bei mir noch immer solch starke körperliche Reaktionen verursachte. Ich holte mir ihr Bild zurück ins Gedächtnis und erinnerte mich daran, dass ich immer eine Erektion bekam, wenn ich weniger als einen Meter in ihrer Nähe war. Diesmal reichte schon die Erinnerung.

'Irgendwie klingst Du komisch. Es hallt so.'

'Ach das. Ich bin gerade im Keller, sau ungemütlich. Sag mal, kannst Du mich noch mal in etwa zwei Minuten anrufen? Dann schließ ich hier eben ab und geh hoch in meine Wohnung.'

'Gar kein Problem. Bis gleich!'

In der Leitung machte es Klick. Ich sperrte meinen Verschlag zu und stieg die Treppen hoch zu meiner Wohnung. Als ich gerade die Wohnungstür aufschloss, klingelte auch schon wieder das Telefon.

'Hank am Rohr!'

'Weiß ich doch!', kicherte Julia.

'Es tut mir leid, ich habe Dir anfangs wohl nicht richtig zu gehört. Ich stecke gerade in einer sinnentleerten Aufräumaktion. Aber jetzt gilt Dir meine ganze Aufmerksamkeit.'

'Du bist ja so selbstlos, mein Held. Aber ich würde ja darauf wetten, dass Du Dir erst noch einen Kaffee machst und Dir Deine Marlboro holst.'

'Du bist ätzend. Ich spüre zwar, dass Du mit mir reden willst, aber sag mir einen Grund, warum ich mit Dir reden sollte? Du machst mich grundlos an und ich weiß nicht warum.'

'Mann oder Memme?'

'Du kennst die Antwort!'

Schweigen. Ich vernahm durch den Telefonlautsprecher schweres Atmen. Ich ging in die Küche und schenkte mir aus eine Tasse frisch aufgebrühten Kaffee ein. Noch immer Schweigen. Ich ging zurück ins Wohnzimmer.

'Du hast Dir tatsächlich einen Kaffee gemacht.'

'Ja! Und zwar mit einer gerade entkalkten Maschine.'

'Ist er jetzt noch besser? Du machst wirklich guten Kaffee.'

'Danke!'

'Dein Kaffee war immer irgendwie mehr als nur Kaffee. Keine Ahnung warum oder was es war. Aber Dein Kaffee erinnerte mich immer daran, wie es als Kind war, wenn man im Winter heiße Schokolade trank.'

Julia machte wieder eine Pause und über den Hörer klang es, als ob sie gegen die Tränen ankämpfte.

'Ich verlasse Dich!'

Julias Worte hämmerten sich in mein Hirn, wie mit einer alten mechanischen Schreibmaschine getippt. Ich spürte jeden einzelnen Buchstaben auf meiner Großhirnrinde.

I C H   V E R L A S S E   D I C H

Die drei Worte hallten in mir und ich verstand gar nichts mehr. Julia hatte sich ja bereits von mir getrennt. Trotzdem verspürte ich einen Stich in der Brust, der mir die Luft nahm und mich lähmte. Gleichzeitig spürte ich, wie sich meine Nackenmuskulatur verspannte und sich ein hämmernder Schmerz in mein Hirn schlich.

'Es geht so nicht mehr weiter!'

'Julia, was geht so nicht mehr weiter? Wir sind seit April nicht mehr zusammen. Du erinnerst Dich?'

'Es macht einfach alles keinen Sinn mehr!'

'Was macht keinen Sinn?'

'Alles!'

'Du machst mir Angst! Was macht keinen Sinn mehr?'

'Alles! Nichts! Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht!', sie schluchzte. 'Und deshalb habe ich den Job in Amerika angenommen. Ich bin jetzt erstmal weg. Keine Ahnung was die Zeit bringt. Ich weiß nur, dass sich was ändern muss. Du weißt, wie sehr ich Amerika hasse!'

'Ja, ich weiß. Aber eigentlich hasst Du ja gar nicht das Land, sondern nur die ungebildeten Einwohner.'

'Und was glaubst Du, mit was ich es Tag täglich zu tun haben werde, dem Grand Canyon oder mit Menschen?'

'Warum bist Du so sauer auf mich? Warum machst Du den Job, wenn es Dich so aufregt?'

'Weil es hier einfach nicht weitergeht! Mein Job ist eine Sackgasse und Du bist es auch! Amerika ist vielleicht eine Chance.'

Ihre Worte trafen mich unvorbereitet hart. Mein Kopf drohte zu explodieren und ich fing an zu schwitzen.

'Was soll ich sagen?', ich rang um Worte, in mir kochte das Chaos.

'Du brauchst gar nichts sagen. Jetzt nicht mehr!'

'Du bist so hart!'

'Ich muss hart sein. Ich muss endlich auch mal an mich denken! Ich mache jetzt diesen Job. Mal sehen wofür es gut ist und wohin es mich bringt. Ende 2005 komme ich wieder. Mal sehen, wie die Welt dann aussieht.'

Ich sagte nichts mehr, sondern legte auf. Ich dachte an Sylvester 2005, vielleicht hätten wir dann eine Chance.

'Mal sehen, wie die Welt dann aussieht.', echote es in meinem Kopf, während ich mich wieder daran machte, Ordnung in meine Wohnung zu bringen. Ich verspürte quälende Kopfschmerzen und fühlte mich unsagbar müde. Ich nahm mir vor, morgen nicht aufzustehen und auch nicht ans Telefon zu gehen.

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