Gastroenteritis
Ich fühlte mich noch immer schlapp, obwohl ich das
Schlimmste schon ausgestanden hatte. Die letzten Tage hatten
mich ausgelaugt. Ich hatte eine Menge Flüssigkeit verloren
- mein Elektrolytehaushalt wies eine negative Bilanz aus.
Einen Tag nach Julias überraschenden Anruf (08.07.04)
brachen bei mir alle Dämme bzw. Därme. Unter quälenden
Magenkrämpfen stürzte ich auf die Toilette und wurde
Täter, Zeuge und Opfer eines gewaltigen Naturschauspiels.
Binnen weniger Sekunde entleerte ich mich. Was da aus mir
herausbrach hätte ich nie mit mir identifiziert.
Dieses Spektakel wiederholte sich stündlich, was mich
einigermaßen überraschte, denn ich konnte mir nicht
erklären, was ich da noch ausschied, denn außer
den zwei Tassen Kamillentee hatte ich für keinerlei weiteren
Nachschub gesorgt.
Gebeutelt von Magenkrämpfen, wässrigem Durchfall,
Übelkeit, Kopf- und Gliederschmerzen fühlte ich
mich elendig. Die kurze Zeit zwischen den Atacken verbrachte
ich im Bett - nicht wach, nicht schlafend. Auch nachts wurde
es nicht besser.
So kam es, dass ich mich am nächsten Tag wie ein Zombie
fühlte und auch so aussah: dehydriert, mit aschgrauer
Gesichtsfarbe und schwarzen Ringen unter den Augen.
Ich tat das einzig vernünftige. Ich schmiss zwei Imodium-Akut
ein, rief mir ein Taxi und fuhr zu meinem Hausarzt. Auf der
kurzen fahrt in die Praxis dachte ich über den Begriff
'Hausarzt' nach und ärgerte mich zunehmend. Der Herr
Doktor wohnte doch gar nicht in meinem Haus. Um genau zu sein,
hatte er mein Haus wahrscheinlich noch nie gesehen, denn Hausbesuchte
machte der Herr ja gar nicht. Warum, zum Henker, nannte ich
ihn dann meinem Hausarzt. Er war Arzt, jedenfalls hoffte ich
das, und seine Praxis war nicht auf einem Feld, sondern in
einem Haus, aber ihn deshalb gleich 'Hausarzt' zu nennen,
war lächerlich. Als ich das Taxi verließ hatte
ich eine Stinkwut, die ich natürlich runterschluckte
bevor ich die Praxis betrat. Und noch bevor ich vor den Arzt
trat hatte ich sie auch schon wieder in die Kanalisation geschickt,
die scheiß Imodium wirkten leider überhaupt nicht.
Aber das hatte auch sein gutes, so konnte ich direkt eine
Stuhlprobe abgeben.
Der Arzt musterte mich kurz, entnahm Blut, fragte blödsinniges
Zeug und schenkte mir keinerlei Mitgefühl. Sein ganzes
Gehabe war abgeklärt und sollte sicher professionell
wirken. Bei mir bewirkte es aber nur, dass ich seinen Namen
aus meinem Adressbuch strich. Beim nächsten medizinischen
Notfall würde ich einen seiner Kollegen aufsuchen. Am
Ende verschrieb er mir zwei Medikamente, Colina (Magen-Darm-Therapeutikum)
und Cipro (Antibiotikum), und verabschiedete mich mit einem
ausführlichen Ernährungshinweis. Ich hörte
aber gar nicht mehr zu, denn ich musste schon wieder auf die
Toilette.
Die Medikamente zeigten ganz allmählich ihre Wirkung.
Vielleicht war mein Hausarzt ja doch ein Guter, ich würde
über die Eliminierung seines Namens aus meinem Adressbuch
noch einmal nachdenken.
Nach zwei Tagen waren die Magenkrämpfe fast völlig
weg und ich hatte nur noch alle vier Stunden eine Durchfallatacke,
was meinem Verlangen nach Schlaf sehr entgegenkam. Der regelmäßige
Schlaf bewirkte wiederum, dass sich mein Allgemeinzustand
verbesserte.
Mittlerweile hatte ein Labor auch meine Blut- und Stuhlprobe
analysiert und teilte mir den Befund telefonisch mit: bakterielle
Gastroenteritis - durch Bakterien wie Salmonellen oder Campylobacter
ausgelöste Entzündung des Darmtraktes
Diese Nachricht bewirkte, dass meine Stimmung schlagartig
nach oben schnellte. Mir war nach Purzelbaumschlagen. Ein
bakterieller Infekt war Schuld an meinem Zustand. Die ganze
Zeit ging ich mit dem Gedanken schwanger, dass Julias
Anruf mich aus der Bahn geworfen hätte. Ich glaubte,
ich sei ein verdammtes Weichei, dessen Körper total verrückt
spielt weil mit mir Schluss gemacht wurde. Aber es waren diese
kleinen hinterhältigen Bakterien. Halleluja! Eine Frau
hatte nicht diese Macht über mich. Das war unglaublich
tröstlich.
Ich hätte gerne ein Bier
getrunken, um den Tag zu feiern, aber ich begnügte mich
mit Hühnersuppe und 'topstar Power-Drink', dem Erfrischungsgetränk
mit Grapefruit-Geschmack, schließlich musste ich noch
auf meinen Elektrolytehaushalt achten.
Nachtrag:
Irgendwie wäre es doch tröstlich, wenn diese Geschichte
einfach damit enden würde, dass ich den Durchfall schadlos
überwunden hätte. Aber so einfach ist es eben nicht.
Die lästige Gastroenteritis hatte ich mit Antibiotikum
niedergekämpft, aber Julia war noch immer weg. Außerdem
ging mir das Gesundheitsamt mit einem blöden Fragebogen
auf die Nerven.
Laut Paragraf § 16 IfSG (Infektionsschutzgesetz) war
es meine verdammte Bürgerpflicht Rede und Antwort zu
geben.
'Das mag ja alles sein, aber warum eigentlich?', fragte ich
mich. Ich fühlte mich überhaupt nicht verpflichtete.
Und ich würde diesen bescheuerten Fragebogen niemals
beantworten, auch wenn tausendmal ein Freiumschlag dabei liegen
würde. Mir egal! Sollte das Gesundheitsamt mich doch
in Beugehaft nehmen. Ich scheiß drauf!
|