Zur Ruhe kommen
Die letzte Woche hatte es in sich - irgendwie. Ich war auf
Autopilot und hektisch wie ein Duracell-Hase. Schlaf war nicht
so wichtig. Das Leben wartete auf mich. Und auch die Liebe.
Ich wollte bereit sein. Also blieb ich in Bewegung.
'It's better to burn out than to fade away'
Ich war für den heutigen Sonntagmorgen mal wieder mit
Luci zum Brunch - so nennt man wohl im Lifestyle-Jargon ein
spätes Frühstück - verabredet.
Ich freute mich sehr auf sie, weil ich mit ihr immer offen
reden konnte. Zwischen uns gab es keine falsche Scham. Wir
waren Seelenverwandte. Und ich mußte mit jemanden reden,
ich brauchte eine neutrale Projektionsfläche.
Luci und ich trafen uns um Halbelf im Bagel, weil es dort
den besten frisch gepressten Orangensaft gab. Keine Ahnung
wie die das machen, eigentlich sollte frischer Orangensaft
ja immer gleich schmecken, aber im Bagel ging jedes Mal die
Sonne auf.
Luci und ich bestellten das komplette Programm, das große
Frühstück mit allem Schnickschnack.
Mit der ersten Espressomilch fing ich an, Luci von der zurückliegenden
Woche zu berichten. Ich erzählte wieder einmal von Sylvester
und von ihr - meiner Traumfrau. Ich erzählte von dreistündigen
Telefonaten und von unzähligen SMS. Ich geriet ins Schwärmen,
wie nur Verliebte es tun. Ich erzählte vom spontanen
Hamburg-Trip, den wir nur unternommen hatten, um ein fangfrisches
Fischbrötchen zu essen. Ich berichtete über schlaflose
Nächte. Und intensive Gespräche. Über nackte
Verbundenheit. Und über echten Wahnsinn. Ich erinnerte
mich an jede Einzelheit und berichtete Luci minutiös
davon. Sie hörte aufmerksam zu.
'Hank!', Luci guckte mich sehr ernst an und ihr Blick traf
mich tief im Mark, 'Schalte mal einen gang zurück. Du
musst auch mal zur Ruhe kommen!'
Ich spürte, dass sie Recht hatte, aber ich entgegnete:
'Ist schon okay!'
'Was ist schon okay?'
'Alles! Mach Dir keine Sorgen. Ich bin okay.'
'Das glaube ich Dir nicht! Schalt mal einen Gang zurück.'
'Wie soll das denn gehen? Soll ich nur halb verliebt sein?
Soll ich nur halb leben? Soll ich nur halb ich selber sein?'
Wir saßen uns gegenüber und schwiegen. Wir wichen
einem direkten Blickkontakt aus. Die Situation war gar nicht
mehr leicht. Das Schweigen war schwer und unerträglich.
Ich hielt es irgendwann nicht mehr aus.
'Lass uns zahlen! Ich muss noch bei einem Umzug helfen.'
'Was? Ich habe Deine Worte gehört, aber ich verstehe
sie nicht!'
'Was verstehst Du denn nicht? Ich sagte, lass uns zahlen!'
'Und danach?'
'Ich muss bei einem Umzug helfen!'
'Na, klar! Du hast in den letzten Tagen durchschnittlich
drei Stunden geschlafen!'
'Ja, und?'
'Komm mal zur Ruhe!'
'Rolf zieht um und er hat mich gebeten ihm zu helfen.'
'Na und?'
'Rolf braucht tatkräftige Hilfe!'
'Und Du brauchst Schlaf!'
'Mag ja sein, aber das ist jetzt nicht wichtig. Rolf braucht
mich!'
'Hank, Du bist irre! Komm mal endlich zur Ruhe! Wann hast
Du das letzte mal ausgeschlafen?'
Ich wußte es nicht. Ich lächelte Luci an. Sie
schwieg und blickte mir mit ihren tiefblauen Augen bis auf
die Seele.
'Du weißt schon, dass Du zu gut für diese Welt
bist!'
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