SODOM ET GOMORRHE
- Sylvesterparty im Les Halles -
"Maybe it was the right times, maybe it was the right
chemicals. Maybe it was just the right people at the right
time, tuned in and turned on, waiting to receive a transmission
from something."
Das Motto der Silvester-Party sprach für sich. Und
so wunderte ich mich umso mehr, dass ich mich beim Aufwachen
relativ okay fühlte. War ich vielleicht auf einer ganz
anderen Party gewesen? Oder hatten die Veranstalter einfach
zu viel versprochen?
Meine Erinnerung war noch nicht wieder ganz synchron mit
meinem Bewusstsein - vielleicht war es aber auch genau umgekehrt.
Vereinzelte Gedanken flossen zäh wie Honig durch meinen
dumpfen Kopf. So schleppte ich mich in die Küche und
bestückte den Kaffeeautomaten. Mit der Hoffnung auf Erlösung
setzte ich meinen Marsch fort und erreichte das Badezimmer,
wo ich meinen müden Körper unter die Dusche hievte.
Frisch geduscht, die Sünden der vergangenen Nacht einigermaßen
abgewaschen, saß ich auf meinem Sofa im Wohnzimmer.
Vor mir auf dem Tisch stand eine Tasse
mit heißem aromatischem Kaffee. Daneben lag ein halbvolles
Päckchen Marlboro. Mein Blick wanderte weiter durchs
taghelle Zimmer und blieb an der Wanduhr hängen: 14:36
Uhr
Ich nippte am Kaffee, dann entzündete ich ein Streichholz.
Ich beobachtete ein paar Augenblicke das Spiel der Flammen
zwischen meinen Fingern. Mit der freien Hand fischte ich eine
Zigarette aus dem Softpack und schnippte sie - cowboy-like-
zwischen meine Lippen. Mit dem brennenden Holz aktivierte
ich die Marlboro. Graublauer Dunst kringelte sich um die Glut
und stieg schließlich zur Zimmerdecke empor. Ebenso
stieg auch in mir die Erinnerung an die letzte Nacht wieder
empor.
Lange hatte ich keinen Plan, wo und mit wem ich die Sylvesternacht
verbringen sollte. Kurzfristig entschied ich mich für
die Party im Les Halles, weil sie mehr Spaß versprach,
als der gemütliche Pärchen-Abend bei Jeff. Ausschlaggebend
war wahrscheinlich die neue Bekannte von Nil, die mich energisch
dazu überredete - hören heißt gehorchen. Außerdem
wusste ich, dass auch Walter
mit zwei Freunden (Werner und Mik) da sein würde.
Die Sylvesternacht läuteten wir bei Walter
ein. Dankenswerterweise hatte Walter
uns, Werner, Mik und mich, mit seinem neuen Alfa Romeo eingesammelt.
In Walters stilvoll
eingerichteter Wohnung stimmten wir uns mit Becks und Robbie
Williams auf den Abend ein. Kurz vor neun Uhr holte uns ein
Taxi ab und brachte uns zu dem alte Bahnhofsgelände,
wo das Les Halles angesiedelt war.
Wir betraten die Hallen wenige Minuten nach neun Uhr und
mir wurde augenblicklich klar, dass ich mit meinem Outfit
(Anzug, Weste und Krawatte) eine Spur overdressed war. Aber
das war okay für mich. Hauptsache ich blieb mir treu
und fühlte mich wohl.
Wir gaben unsere Mäntel ab und stürzten uns erst
auf die Bar und dann auf das großzügige Buffet
- all inclusive. Danach enterten wir einen Stehtisch, den
wir über die ganze Nacht besetzten und gegen jeden Widerstand
verteidigten.
Gegen ca. 22 Uhr traf die Bekannte von Nil mit ihren beiden
Freundinnen ein, die ich mit drei Gläsern Prosecco auf
Eis empfing. Wir stießen gemeinsam an und machten uns
erst einmal miteinander bekannt. Die Bekannte von Nil hieß
Anna-Lena, ihre Freundinnen Rita und Christina.
Die Mädels machten was her und schienen auch nett zu
sein, trotzdem hielt ich mich zurück. Mik und Werner
taten mir gleich. Außer Walter.
Walter kannte keine
Berührungsängste und war gut drauf. Er übernahm
die Rolle des sympathischen Entertainers. Mik, Werner und
ich standen hilflos im Abseits und gaben uns auch gar keine
Mühe, die Mädels näher kennen zu lernen. Ich
war sehr froh, dass wenigstens Walter
umgänglich war.
Ich selber fühlte mich recht unwohl. Ich hatte keinen
wirklichen Anschluss zu Walters
Freunden, Mik und Werner. Und an die Mädels traute ich
mich nicht ran.
Bis zwölf Uhr änderte sich wenig. Die Mädels
sahen gut aus und wir Männer waren damit beschäftigt
Getränke für alle zu hohlen und selbst zu konsumieren.
Die 12 änderte alles!
Um zwölf Uhr knallten die sprichwörtlich Sektkorken.
Auf einen Schlag war die Stimmung locker und zwanglos. Wir
fielen uns um den Hals. Wir prosteten uns zu. Wir lachten.
Wir tanzen - bis auf die Cowboys, zu denen ich gehörte.
Die Halle bebte. Alle rockten. Der pure Sex lag in der Luft.
Rock'n'Roll!
Ich verknallte mich etwa alle vier Minuten aufs Neue. Ich
war umringt von hübschen Mädels. Und es ergaben
sich 1000 Möglichkeiten.
Unter all diesen Möglichkeiten fand mein Blick immer
wieder zu diesen ganz bestimmten Augen zurück. Jedes
Mal wenn ich sie sah, wurde mir schwindelig und ich verlor
mich in ihnen.
Diese Augen lachten mich an. Weckten Hoffnungen und Gefühle
in mir. Trugen mich in den Himmel.
Was sollte ich alleine im Himmel? Was sollte ich hier noch
ohne sie?
Ich trat zu ihr, zögerte nicht, und küsste sie.
Es war großartig. Sie küsste großartig. Ich
hörte nicht auf sie zu küssen. Ich wollte nie mehr
aufhören, sie zu küssen.
Stunden später, so gegen sechs Uhr morgens, war die
Party endgültig zu Ende und auch die Knutscherei. Leider!
Die Lichter gingen an. Die Party war vorbei. Abrupt! Ohne
Vorwarnung!
Alle verließen das Les Halles. Auch ich. Mit den drei
Mädels.
Anna-Lena suchte für uns ein Taxi. Ich konnte ihr dabei
leider nicht helfen, weil ich noch total verknallt war und
neben mir stand.
Ein Wagen kam und wir stiegen ein. Wir rauschten durch die
Nacht. Als erstes stiegen Anna-Lena und Rita aus. Das Taxi
fuhr noch ein paar Blocks weiter und spuckte dann Christiane
aus. Für mich ging es noch ca. 500 Meter weiter.
Als das Taxi unmittelbar vor meiner Haustür anhielt,
bezahlte ich den Fahrer fürstlich und stieg hinauf in
meine Wohnung. Bruce
begrüßte mich schwanzwedelnd an der Wohnungstür
und in mir keimte eine ungefähre Ahnung auf, wie er unter
der Sylvesterknallerei gelitten haben musste.
Ich war noch zu aufgekratzt, um zu schlafen. Ich legte Bruce
sein Halsband um und verließ umgehend wieder meine Wohnung.
Bruce und ich machten
uns auf den Weg zum Fluss. Die Straßen waren quasi menschenleer
und mit zerfetzten Knallern und Scherben übersät.
Die Luft war eisig. Es war auf eine seltsame Art friedlich.
Am Fluss war es noch ruhiger. Ich schlenderte die Promenade
entlang und rauchte eine Marlboro, Bruce
markierte in der Zwischenzeit jeden zweiten Baum. Einige glücklich
betrunkene Passanten kreuzten meinen Weg und man wünschte
sich 'Ein frohes neues Jahr!'. Ansonsten hatte ich Zeit und
Ruhe zum Nachdenken.
Die Sylvesterparty war der Knaller. Ich surfte noch auf einem
Hochgefühl, aber ich spürte den Katenjammer schon
hereinbrechen. Ich dachte über das vor mir liegende Jahr
nach, das jungfräuliche 2004. Was würde es für
mich bereithalten? Würde ich meine Ehefrau kennen lernen?
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