Lambchop, Kinski und ich
Am gestrigen Samstag hatte ich nichts Besonderes vor . Ich
stand kurz vor neun Uhr auf und setzte gewohnheitsgemäß
als erstes Kaffee auf. Dann schlüpfte ich in gemütliche
Klamotten und ging, ungewaschen und ungeduscht, mit Bruce
zum nahe gelegenen Kiosk und kaufte mir eine Tageszeitung.
Bruce entleerte sich
anbei. Zurück in meiner Wohnung, war der Kaffe fertig
und ich pflanzte mich aufs Sofa, bewaffnet mit einem Becher
Kaffee, Marlboros und der Zeitung. Perfekt!
Nicht ganz! Ich stand noch einmal auf, stellte mich vor mein
CD-Regal und suchte. Die Suche zog sich einige Minuten in
die Länge, denn mir war nicht klar, was ich eigentlich
suchte. Dann irgendwann stieß mein Blick auf Grandaddy
'Under The Western Freeway'. Gute Wahl!
Ich setzte mich zurück aufs Sofa und machte es mir gemütlich.
Zwischendurch wechselte ich noch in paar mal die Musik (Beth
Gibbions, Stevie Wonder, Ryan Adams), oder holte mir einen
weiteren Becher Kaffee. Bis dann um etwa zwölf Uhr das
Telefon überraschend klingelte. Cris
war dran:
'Hi! Bin in der Stadt! Was geht?'
'Alles! Warum, was hast Du vor?'
'Ein paar CDs kaufen. Und mal sehen. Wann trefft ihr euch
immer zur Erbsensuppe?'
'Eigentlich um eins. Heute aber nicht. Walter
ist doch in Shanghai. Mit ihm steht und fällt die Erbsensuppentradition.
Es sei denn, Du willst einsteigen.'
'Kann gemacht werden!'
'Sehr schön! Dann bin ich in ca. 30 Minuten am Karlsplatz.
Bis gleich.'
'Okay. Bis gleich.'
Ich hechtete durchs Bad und dann auf meinem Drahtesel in
die Innenstadt.
Ich traf Cris vorm
WOM, den wir dann gemeinsam aufsuchten. Cris
war auf der Jagd nach einem ganz bestimmten Chill-Out Sampler,
'Hotel Hostel' oder so, es war mir egal. Ich selbst verspürte
kein Jagdfieber und so irrte ich unbeteiligt durch die schmalen
Fluchten, umzingelt von CDs.
Danach gingen wir, es war mittlerweile genau 13 Uhr, auf
den Markt und aßen eine Erbsensuppe mit Bauernwurst.
Gibt es etwas Ehrlicheres?
Satt und glücklich durchquerten wir die Altstadt, um
im Einhorn für ein Heißgetränk, vielleicht
auch für ein Stück Kuchen, einzukehren.
Cris bestellte sich
eine heiße Schokolade und ich mir eine Espressomilch.
Wie üblich.
Nur wenige Augenblicke später war nichts mehr wie üblich.
Nachdem die aparte, etwas zu hektische, Kellnerin uns unsere
Getränke serviert hatte, verfiel Cris in einen Redeschwall.
Er erzählte mir von Caro,
der Schwangerschaft, seinen Vaterfreuden, den Untersuchungen
und Ultraschallaufnahmen. Er erklärte mir den Sinn von
Fruchtwasseruntersuchungen und dass schwangere Frauen streckenweise
allergisch auf Zärtlichkeiten reagieren, andererseits
der aber Sex animalisch sei. Er referierte über Natürliche-
und über Wassergeburten. Über all die vielen Eltern-Ratgeber.
Und über die große Aufgabe und Verantwortung einen
Namen auszuwählen.
Hätte ich in Cris
Ausführungen nicht soviel Freude, Stolz und Begeisterung
gespürt, hätte ich ihn sicher ausgeknockt, denn
eigentlich interessierte mich das alles nicht sonderlich und
schon gar nicht in dieser Ausführlichkeit. Aber ich freute
mich mit ihm.
Nach dem Kaffee kam der Kuchen. Und nach dem Kuchen kam das
unvermeidliche Bier.
Wir saßen stundenlang zusammen und Cris
erzählte. Manchmal erwischte ich mich dabei, dass ich
nicht zuhörte, weil ich mit meinen Gedanken ganz woanders
war. Ich war verliebt. Ich träumte. Von ihr.
Um Mitternacht war Cris
so betrunken, dass er nicht mehr reden konnte. Um genau zu
sein, er konnte gar nichts mehr. Er plumpste wie ein nasser
Sack von seinem Hocker und blieb bewegungslos auf dem dreckigen
Fußboden liegen.
Ich sah nach ihm, überprüfte seinen Puls. Alles
okay. Ich bezahlte und schleppte ihn raus direkt in ein Taxi.
Das Fahrer und ich brachten Cris
nach Hause. Ich schleppte ihn die Treppen hinauf und Cris
dankte es mir, indem er in der zweiten Etage vor die Wohnungstür
'Deutschmann' kotzte. Caro
freute sich natürlich sehr, als sie mich mit einem kalkweißen
Cris sah. Ihre Vorwürfe
und Beschimpfungen erschütterten das gesamte Treppenhaus.
Dann nahm sie sich aber doch dem Vater ihres ungeborenen Kindes
an und ich konnte gehen, vorbei an der Pfütze aus Erbrochenem.
Das Taxi war längst wieder weg. Ich überlegte kurz,
dann entschied ich mich zu einem Spaziergang. Ich ging zum
Fluss. Nicht der direkte Weg, aber der schönere. Ich
entzündete ein Zigarette und schlenderte die Promenade
hinab.
Irgendwann wollte ich nicht mehr gehen. Die Füße
taten mir weh. Und ich war müde. Ich suchte ein Taxi
und ließ mich nach Hause bringen.
Ich warf nur noch meine Klamotten ab und sprang ins Bett,
die Uhr zeigte 04:13.
Am heutigen morgen hatte ich einen Bieberschwanz im Mund.
Also als erstes Zähne putzen und mit Odol durcvhspülen,
dann erst Kaffee aufsetzen.
Komischerweise geisterte ein Kinski
Zitat durch meinen dumpfen Kopf:
'Ich bin nach deinem roten Mund so krank, der sich
an meinem Blut betrank.'
Wo kamen diese Worte auf einmal her? Ich überlegte angestrengt,
konnte mir aber keinen Reim darauf machen. Schon seltsam,
was einem manchmal in den Sinn kommt.
Ich durchsuchte mein Bücherregal und wurde fündig:
Klaus Kinski
'Ich bin so wie ich bin'. Danach legte ich wie selbstverständlich
Lambchop 'Is A Woman' in den CD-Spieler, die perfekte musikalische
Untermalung für diese graue Jahreszeit.
Ich setzte mich aufs Sofa und begann Kinskis Autobiografie
quer zu lesen.
Manchmal sind Sonntage einfach so: Lambchop, Kinski und ich.
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