Die grellen Lichter der Stadt
Da ich sowieso keinen Schlaf fand, konnte ich auch genauso
gut die Nacht zum Tage machen bzw. den Tag zur Nacht. Vielleicht
würde ich endlich mal wieder acht Stunden durchschlafen,
wenn ich mich gegen die Natur stemmen und alles auf Links
ziehen würde.
Die Schlafstörungen suchten mich unerwartet heim und
ich fand keine Erklärung dafür. Eine Freundin, die
mich besuchte, hatte direkt eine parat.
'Du trinkst jetzt noch Kaffee? Es ist bereits nach 19 Uhr.
Könnte es nicht vielleicht sein, dass Du genau deshalb
so schlecht schläfst?'
'Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Aber ich habe
ja eigentlich keine Probleme mit dem Einschlafen. Mein Problem
ist es, dass ich zu wenig schlafe, weil ich immer so früh
aufwache.'
'Kann es nicht sein, dass Du ernsthaft pathologisch süchtig
nach Koffein bist und nur deshalb so früh aufwachst,
weil Du wieder einen Schuss Kaffee in deinen Venen brauchst?'
'Ein interessanter Gedanke. Obschon recht seltsam. Du meinst
also, ich sei ein Kaffee-Junkie.'
'Hank, bei aller Liebe, Du bist der größte Kaffee-Süchtel
vor dem Herrn! Und Du bist verrückt, verrückt wie
Märzhase oder Hutmacher!'
'Vielen Dank! Ich habe Dich auch lieb!'
Ich hatte mir auch schon meine Gedanken gemacht, aber ich
hatte keine Ahnung, woher mein abnormales Schlafverhalten
rührte. Vielleicht hatte meine Freundin ja sogar Recht
mit ihrer Koffein-Sucht-These. Aber ändern konnte ich
heute sowieso nichts mehr, durch meine Adern floss bereits
eine beachtliche Dosis Koffein. Trotz aller Müdigkeit
war ich fickrig und außer Stande in den nächsten
Stunden überhaupt nur ernsthaft an Schlaf zu denken.
Ich machte das Beste aus meiner Ruhelosigkeit und stürzte
mich ins Nachtleben. Kopfüber! Mit offenen Augen! Und
weit ausgestreckten Armen!
Ich traf mich um neun Uhr mit Cris
und Jeff im 'Ohme Jupp' auf der Ratinger Straße. Ich
hatte jahrelang einen großen Bogen um das 'Ohme Jupp'
gemacht, mir lag das Publikum nicht. Es war einfach zu sehr
möchtegern Schicki-Micki, d.h. zu viele Leute trugen
den unvermeidlichen Strickpullover akkurat über dem gesteiften
Hemd lässig auf den Schultern, die Ärmel vor der
Brust verknotet, als ob sie sich in einem Tennis- oder Golfclub
befinden würden. Dieser schreckliche Menschenschlag bevölkerte
noch immer das 'Ohme Jupp', aber darüber sah ich gelassen
hinweg, denn mein Interesse galt voll und ganz dem weiblichen
Geschlecht. Die angenehm hohe Frauenquote war der eigentliche
Grund, warum ich es hier überhaupt aushielt. Frauen ohne
männliche Begleitung.
'Ey, Hank, die Musik hier ist verdammt 80er.'
'Ja, und? Das Bier ist doch auch scheiße und teuer.
Aber deshalb ist man doch nicht hier. Mann ist wegen der Frauen
hier. Das hier ist eine einzige Singlebörse. Es tut mir
leid für Dich, Du bist in festen Händen. Sieh Dich
als meinen Co-Piloten. Du gibst mir Feuerschutz.'
'Und, läuft schon was?'
'Abwarten.'
'Worauf soll ich warten? Ich habe eine tolle Frau zu Hause.
Trinken wir noch ein Bier?'
'Natürlich trinken wir noch ein Bier! Du wartest auf
gar nichts, ich warte.'
'Und worauf wartest Du? Auf Cindy Crawford oder Heidi Klum?'
'Ja, genau! Und auf den Weihnachtsmann! Ich bin kein Idiot.
Wenn ich eine Kneipe betrete verschaffe ich mir einen Überblick.
Bei einer 9 oder 10 hätte ich sowieso keine Chance, deshalb
gucke ich mir eine 6 aus. Zu der halte ich dann Augenkontakt.
Währenddessen saufe ich so lange bis aus der 6 mindestens
eine 8 wird. Dann werde ich aktiv.'
'Du bist niveaulos!'
'Ja! Das bin ich wohl. Aber Du hast gut reden, Du hast den
ganzen Affenzirkus hinter Dir, auf Dich wartet eine leckere
Frau im angewärmten Bett.'
'Was meinst Du, saufen Frauen sich die Männer auch schön?'
'Das ist eine interessante Frage. Ich glaube, es hängt
davon ab, ob sie nur Sex wollen oder einen Partner.'
'Was soll das denn schon wieder heißen?'
'Also, ich denke, dass Frauen genauso ticken, wie wir Männer,
wenn es nur um den puren Sex, also um Spaß für
eine Nacht, geht. Dann suchen sie sich natürlich attraktive,
vorzeigbare Typen aus. Aber wenn es um eine ernsthafte Beziehung
geht, dann spielt das Aussehen nur noch eine zurückgestellte
Rolle. Der Beruf, die soziale Stellung und das Sparguthaben
bekommte auf einmal eine viel bedeutendere Rolle, als die
ausufernden Pfunde auf den Hüften. Die Emanzipation mag
ja einiges bewürgt haben, aber für eine Frau ist
noch immer ein prallgefülltes Portemonnaie wichtiger,
als ein unattraktiver Bauch.'
'Das glaubst Du wirklich?'
'Was Frauen betrifft, glaube ich gar nichts mehr. Ich liege
eigentlich immer völlig daneben. Ich kann nur über
meine Erfahrungen sprechen. Und ich versuche daraus zu lernen,
aber ich bin ein schlechter Schüler, denn ich habe die
Frauen bis heute nicht begriffen. Ich halte es mit John Wayne,
der brachte es mal auf den Punkt, als er schlicht sagte: Frauen,
ich verstehe sie nicht!'
Wir tranken uns ganz gemütlich einen leichten Bierrausch
an, ohne dass wir in Kontakt mit dem anderen, dem göttlichen,
Geschlecht traten. Ich war zwar in der Stimmung, der Alkohol
hatte meine natürliche Hemmschwelle längst dahingeschwemmt,
aber Cris Anwesenheit erwies sich als kontraproduktiv. Er
hatte nur Hohn und Spott für die anwesende Weiblichkeit
über, was mich nur unnötig verunsicherte.
Deshalb war ich sehr froh als wir das 'Ohme Jupp' verließen
und Cris sich verabschiedete. Weiter ging es mit Jeff ins
'Auberge', wo wir bei einer lauten und rockigen Besatzhallung
noch ein paar Bier tranken. Wir redeten ausschließlich
Blödsinn und waren uns eigentlich nur darüber einig,
dass wir von Frauen absolut keine Ahnung hatten. Danach ging
es weiter ins 'Night Live', das wie üblich brechend voll
war. Jeff und ich waren ambitioniert und bestellten eifrig
Biere, während die Live-Band auf Marius Müller-Westernhagen
machte.
Die Band und die Musik waren furchtbar. Wirklich jedes Bandmitglied
sah wie ein Erdkunde- bzw. Pädagogiklehrer aus. Es war
eine kleine Horrorshow. Die Musik entsprach leider dem biederen
Erscheinungsbild, gut abgehangener Deutschrock, den man eigentlich
nur im Karneval ertragen kann. Nüchtern würde ich
mir das ganze keine 30 Sekunden ansehen. Aber ich war wundervoll
betrunken. Das stimmte mich milde.
Die Band quälte uns konsequent mit deutschem Liedgut,
wir schütteten hemmungslos Bier in uns rein und ich taxierte
die ganze Zeit eine Frau, die wortwörtlich aus der Menge
heraus stach, sie war riesengroß. Außerdem fiel
sie durch ihre Uniform auf, sie trug ein DEG-Trikot, was ihre
Figur weitestgehend verhüllte, und mich wieder an den
Deckel aus dem 'Ohme Jupp' erinnerte.
Was Frauen angeht, hatte ich kein klares Beuteschema. Ich
mag Frauen. Frauen im Allgemeinen. Alle Frauen. Blond, brünett
oder rot. Die Haarfarbe war mir immer egal. Aber es gab einen
Schlüsselreiz, auf den ich immer ansprang, ich war fasziniert
von großen Frauen.
Als die Band endlich eine Pause machte, verabschiedete sich
Jeff mit roten Trinkeraugen und einer schweren Zunge. Ich
blieb und versuchte mit der großgewachsenen DEG-Frau
einen Augenkontakt aufzubauen. Ich starrte, blinzelte und
grinste wie Richard Gere oder auch wie ein totaler Vollidiot,
ich war mir da selber nicht so sicher. Jedenfalls fruchteten
meine zaghaften Bemühungen nicht. Ich stand nur einfach
da, schnitt ab und zu Grimassen und trank lustlos, aber mit
Eifer, Bier. Ich dachte an mein Bett und träumte von
einem langen erholsamen Schlaf, als mich ganz plötzlich
die großgewachsene Frau ansprach.
'Du siehst nicht so aus, als ob Du Dich amüsieren würdest.
Was machst Du hier?'
'Ich amüsiere mich. Keine Bange. Für mein Gesicht
kann ich nichts, ich wurde leider damit geboren.'
'Du hast also Spaß?'
'Ja, sicher. Warum fragst Du? Hast Du denn Spaß?'
'Ich habe eine Menge Spaß. Aber ich glaube Dir kein
Wort.'
'Warum nicht?'
'Du bist so passiv! Obwohl ich glaube, dass Du gar nicht
langweilig bist, gibst Du Dich so.'
'Was meinst Du?'
'Alle hier tanzen und lachen und haben Spaß.'
'Ich habe auch Spaß. Aber Cowboys tanzen nicht.'
'Was machen Cowboys denn?'
'Cowboys hüten Rindviecher. Fangen wilde Mustangs ein
und reiten sie zu.'
Sie lachte.
'Ich bin ein wilder Mustang.'
'Dann sieh Dich vor meinem Lasso vor!'
'Fang mich ein, ich weiß mich zu wehren.'
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