Lynn's Geburtstagsparty
Lynn, die Freundin aka. Lebensabschnittsgefährtin von
Jeff, feierte gestern ihren 30. Geburtstag in der Kneipe Sassafras,
die sie eigens für diesen Anlaß angemietet hatte.
Es war ein wirklich 'netter' Abend.
Obwohl mein Bein noch immer schmerzte fuhr ich mit meinem
Hollandrad zu Lynn's Geburtstagsparty. Ich hatte es nicht
sonderlich weit, nur eben über den Fluss und schon war
ich da. Trotz des kurzen Wegs traf ich im Sassafras unangenehm
verschwitzt ein. Ich hatte das Wetter völlig falsch eingeschätzt.
Nach herbstlichen Wetterbedingungen war der Sommer unerwartet
zurückgekehrt. In solchen Fällen spricht man dann
wohl von einem Spätsommer, was natürlich totaler
Blödsinn war, denn schließlich war noch immer Sommer.
Da ich kein Meteorologe war, wußte ich nichts übers
Wetter, wohl aber über falsche Kleidung.
Ich trocknete mich notdürftig mit den ausliegenden Servietten,
bevor ich dem Geburtstagskind mit rotem Kopf meine Aufwartung
machte. Danach zapfte ich mir umgehend ein Alt
vom Fass, suchte mir einen freien Platz und dachte daran,
mich zu akklimatisieren.
Bei einem frisch gezapften Schlüßel-Alt und einer
Zigarette fand ich langsam zu mir zurück. Ich ließ
meinen Blick über den Raum schweifen und musterte die
anwesenden Gäste. Ich hatte mir im Vorfeld nicht allzu
viel von diesem Abend versprochen und leider konnte ich auf
den ersten Blick auch keine angenehme Überraschung ausmachen.
Ich war auf einer 'netten' Geburtstagsfeier gelandet.
Natürlich wäre es für mich ein Leichtes gewesen,
dieser biederen Veranstaltung einen Tritt in den Arsch zu
verpassen, so dass womöglich etwas Stimmung aufkommen
würde, jedenfalls das, was ich für Spaß hielt.
Aber ich riss mich zusammen, schließlich war ich nur
ein Gast von vielen. Außerdem wollte ich weder Lynn
noch meinen Freund Jeff durch mein peinliches Verhalten brüskieren.
Also widmete ich mich unauffällig dem maßlosen
Trinken.
Während ich allmählich, von Glas zu Glas, immer
betrunkener wurde, verlor ich jedoch nie den Blick fürs
Wesentliche. Mein Blick verfolgte jede Frau und jede ihrer
Gesten. Doch egal welche Frau ich hier im Visier hatte, früher
oder später wurde mir bewusst, dass sie bereits vergeben
war. Alle Frauen auf dieser Party waren mehr oder weniger
fest gebunden. Das sagte mir entweder ein aufblitzender Ehering
oder aber direkt der Freund, der plötzlich aus dem Nichts
auftauchte und entsprechende Frau umklammerte und zärtlich
küsste.
Ich war der einzige Sigel auf Lynn's Geburtstagsparty. Ich
war der eine lächerliche Single unter all den glücklichen
Paaren.
Für mich gab es an diesem Abend absolut nichts zu gewinnen,
ich hatte auf ganzer Front verloren, schon bevor ich eintraf.
Das Fell war längst aufgeteilt worden, noch bevor ich
das Schlachtfeld betreten hatte. Eigentlich gab es gar kein
Fell, kein Schlachtfeld, keine Abenteuer und keine Jungfrauen,
sondern nur unerträgliche Pärchen. Natürlich
hätte ich noch für etwas Aufregung sorgen können,
indem ich mich daneben benommen hätte und beispielsweise
eine der vielen verheirateten Frauen unflätig angemacht
hätte. Aber daraus hätte ich auch keinen persönlichen
Vorteil ziehen können. Wahrscheinlich hätte ich
nur Jeff und Lynn in eine unangenehme Lage gebracht, im schlimmsten
Fall hätte ich eine ordentliche Abreibung kassiert. Also
blieb ich brav, kommunikativ, charmant und widmete mich dem
Bierfass.
Ich redete mit der Frau von Lynn's Chef und hörte mir
all ihr leeres Gerede an, ohne mein Lächeln zu verlieren.
Danach redete ich noch mit Arbeitskollegen von Lynn oder Jeff,
Freunden und Freunden von Freunden. Dabei trank ich immer
mehr Bier und machte
mir immer weniger Gedanken über diesen seltsamen Abend.
Ich wurde immer betrunkener und irgendwann fuhr ich mit meinem
Fahrrad wieder nach Hause und legte mich ins Bett.
Als ich heute Morgen aufwachte, hatte ich einen leichten
Kater und eine neue Erkenntnis: nur weil Geredet wird, bedeutet
das noch lange nicht, dass kommuniziert wird, meistens handelt
es sich schlicht und ergreifend um Ruhestörung. Ich rief
mir den üblichen Gesprächseinstieg des Vorabend
zurück ins Gedächtnis:
'Tach!'
'Tach auch!'
'Na, wie geht´s?'
'Ach ja, es muss! Und selber?'
'Du kennst das doch... Man lebt!'
So etwas war doch meilenweit von einer intelligenten Unterhaltung
entfernt. Das war purer Sound! Das war Krach! Nackte Schallwellen
ohne jede Information!
Warum dachten diese Menschen nur, dass sie ungestraft akustische
Umweltverschmutzung begehen durften. Nur weil sie schön
und erfolgreich waren? Selbst wenn die Gespräche mal
etwas an Substanz gewannen, wurde nur darüber geredet,
dass man nach dem Besuch einer Sonnenbank unangenehm roch
oder das das Essen bei dem trendy Italiener XYZ viel zu teuer
war oder das die Herbstmode in diesem Jahr der von 1998 zum
verwechseln ähnlich sei, bis auf die Farben. Mir klingelten
die Ohren. Da hörte ich doch lieber dem Rauschen des
Flusses zu. Vielleicht war ich ja wirklich kein Menschenfreund...
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