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home » tagebuch » 29.08.2004
TAGEBUCH: 29.08.2004 notes of a dirty old man
Immer wieder Sonntags
Immer wieder Sonntags Zoom

Immer wieder Sonntags

'Sonntag, Deine Name ist Schmerz', war mein erster Gedanke, als ich aus einem komatösen traumlosen Schlaf viel zu früh aufwachte. Die üblichen Folgeerscheinungen einer durchzechten Nacht hatten sich wieder bei mir eingefunden: Supernova im Kopf, Pelztierzucht im Mund, Karussell im Magen, Erdbeben in den Extremitäten, überfrierende Nässe auf der Haut und eine von Metastasen zerfressenes Seele.

Als ich aufwachte, brannte mir die penetrant grünleuchtende Anzeige des Radioweckers rechts auf meinem Nachttisch die aktuelle Uhrzeit auf die Netzhaut: 10:22. Ich hatte gerade einmal fünf Stunden geschlafen und es fühlte sich nach deutlich weniger an.

Meine Batterien waren leer. Ich fühlte mich total ausgelaugt und so verloren, wie eine ausgemusterte Matratze auf dem Sperrmüll.

Neben den nur zu gut bekannten Katersymptomen quälte mich noch ein ganz anderer Schmerz. Mein linker Oberschenkel pochte und brannte, dass es mir die Tränen in die Augen trieb.

Ich schlug die Bettdecke zurück und blickte an mir herunter. Ich erschrak. Das erste, was ich sah, waren dunkelbraunrote Flecken auf dem Bettbezug. Getrocknetes Blut. Mein Blick wanderte weiter. Dann sah ich mein aufgeschürftes linkes Bein. Die Haut war um das Knie völlig weggerissen und ich hatte einen freien Blick aufs blutige Fleisch lag. Die Wunde war etwa handgroß und noch frisch und feucht. Der Anblick war entsetzlich. In mir stieg Übelkeit auf. Ich unterdrückte all meine Gefühle und hüpfte einbeinig zur Hausapotheke, auf der Suche nach Jod, Wundpuder und Mullbinden.

Meine Hausapotheke, eine Schublade in der Küche, enthielt allerlei Tabletten gegen Kopfschmerzen, Grippesymptome, Durchfall und ähnliche kleinere Erkrankungen, aber leider kein Jod. Inspiriert durch hunderte alte Western-Filme und noch leicht benebelt vom Restalkohol, humpelte ich ins Wohnzimmer zur hauseigenen Mini-Bar. Ich überflog kurz meinen Bestand, auf der Suche nach dem höchstprozentigstem Alkohol. Ich stieß auf eine Flasche blauen Smirnoff mit 50% Vol Alkohol.

'Nun gut, dann muss eben der gute Wodka als Desinfektionsmittel herhalten!', dachte ich und ging ins Badezimmer. Dort hatte ich in meinem alten Alibert-Möbel aus den 70ern einen grünen Erste-Hilfe-Kasten, wie man ihn üblicherweise in Autos vorfindet, verstaut. So hatte ich zumindest etwas Wundpuder und auch ein paar Mullverband.

Ich streckte mein linkes Bein in die Dusche. Ich öffnete die Wodkaflasche, nicht ohne mir vorher noch einmal die Bilder aus den alten Western-Filmen über die korrekte Behandlungsmethode von Schussverletzungen ins Gedächtnis zu rufen. Zugegeben, ich hatte keine Schussverletzung, aber Wunde war Wunde, warum sollte es also nicht funktionieren?

Ich atmete lang und tief durch. Einmal. Zweimal. Dreimal. Dann setzte ich die Flasche ruckartig an den Mund und nahm einen kräftigen Schluck. Der zimmerwarme Wodka schmeckte grässlich und ich musste mich schütteln. Dann goss ich den Alkohol auf und in meine Wunde. Der Schmerz, ein Brennen und Stechen, war so überraschend gewaltig, dass ich augenblicklich ungedämpft aufschreien musste. Ich schrie und schrie und weinte. Dann sank ich in mich zusammen und kauerte auf dem kalten Kachelboden. Als die Schreie längst verstummt waren, weinte ich noch immer.

Als ich meine Fassung einigermaßen wieder gefunden hatte, versorgte ich die Wunde mit Puder und verband sie mit Mullbinden. Zitternd ging ich in die Küche, wobei ich darauf achtete, das linke Bein möglichst ruhig zu halten und wenig zu belasten. Ich machte mir einen Kaffee.

Während die Kaffeemaschine prustend ihre Arbeit verrichtete, ging ich noch einmal zurück ins Bad, um mir die Zähne zu putzen und abschließend noch mit Odol nachzuspülen. Dabei dachte ich wieder an die alten Western-Filme und ihre Helden. Die Cowboys, aus der längst vergangenen guten alten Zeit, waren aus einem ganz anderen Holz geschnitzt als ich. Die goutierten einen Bauchschuss aller höchstens mit einem süffisanten Lächeln und einem sarkastischen Witz. Die würden nie unter Tränen zusammenbrechen. Niemals.

Ich kehrte zurück in die Küche und schenkte mir einen Kaffee ein. Dann ging ich ins Wohnzimmer und setzte mich aufs Sofa. Erst jetzt entzündete ich mir eine Marlboro, allerdings ohne mich wie ein Cowboy zu fühlen.

Ich dachte nach. Sollte ich wegen der Verletzung noch zu einem Arzt gehen. Meine letzte Tetanus-Impfung lag noch nicht allzu lange zurück, darüber brauchte ich mir also keine weiteren Sorgen machen. Ich würde erst mal abwarten. Morgen konnte ich mir immer noch Jod in einer Apotheke kaufen. Woher aber stammte die Wunde? Wie und wo hatte ich mich so verletzen können. Ich starrte in den Raum, starrte auf meine achtlos verteilten Klamotten, die Hose, den Pulli, das T-Shirt, die Socken und die Schuhe. Aber das alles sagte mir nichts, weckte keinerlei Erinnerung in mir.

Ich saß einfach nur dumpf da, rauchte eine Zigarette nach der anderen und nippte an meinem ganz allmählig auskühlendem Kaffee. Gerne hätte ich die penetrante Stille mit Musik verscheucht, aber der Weg zur Hi-Fi Anlage erschien mir als zu beschwerlich und außerdem hätte ich eh nicht gewußt, was ich in diesem Moment hätte hören wollen.

Um exakt 12:00 Uhr klingelte das Telefon. Ich saß weiterhin entspannt da und lauschte dem elektronischen Klingelton, den ich unter normalen Umständen als nervig empfunden hätte. Aber jetzt gerade störte er mich überhaupt nicht. Ich hörte ihm gelassen zu und wartete darauf, dass der Anrufbeantworter anspringen würde. Aber genau das tat er nicht. Das Signal des Telefons schrillte immer weiter. Ich rappelte mich dann doch irgendwann auf und suchte den Hörer. Den fand ich auf dem Fußboden neben dem Kopfende meines Betts im Schlafzimmer.

'Wer stört mitten am Tag?'

'Hank, alles klar bei Dir?'

'Ach Du bist es. Hi Jeff. Nö! Irgendwie nicht wirklich.'

'Erzähl! Was war los? Du warst gestern so plötzlich weg. Du sagtest, Du wolltest pissen gehen. Aber dann habe ich Dich nicht mehr gesehen. Du warst einfach weg. Ohne Tschüß zu sagen. Und dann habe ich heute morgen diesen seltsamen Anruf von Dir auf meinem AB entdeckt. Aber Mann, Du warst ja so voll oder was, ich habe von Deinem Gestammel echt kein Wort verstanden.'

Danke! Danke, Jeff! Da war er also! Der Anhaltspunkt, den ich brauchte, um die vergangene Nacht Schritt für Schritt zu rekonstruieren. Alles fing damit an, dass Jeff und ich uns aus der Ratinger trafen, Bier tranken und durch die Altstadt zogen. Der Nebel des Vergessens verzog sich schlagartig und ich konnte mich auf einmal wieder an alles erinnern.

'Ja, tut mir echt leid. Das ist keine Art. Bist Du denn gut nach Hause gekommen?'

'Ja! Nachdem Du plötzlich verschwunden warst, habe ich noch mein Bier in Ruhe ausgetrunken und bin dann nach Hause gefahren. Die anderen sind noch in DIE MAUER gegangen, aber das war mir zu hart. Aber sag schon, was hast Du gemacht? Warst Du wieder im NIGHT-LIFE, um eine geile Frau mit Zungenpiercing klarzumachen?'

'Totaler Quatsch! Ist zwar ein verführerischer Gedanke, aber leider Lichtjahre von der Realität entfernt. Ich ging tatsächlich nur um die Ecke, um mir Erleichterung zu verschaffen. Aber als ich so dastand, meinen kleinen Hank ausgepackte und durch das Gitter die Pflanzen wässerte, schlug auf einmal ganz gewaltig die Alkoholkeule zu und ich fiel einfach, wie ein gefällter Baum, um. Auf einmal lag ich also regungslos auf dem kalten dreckigen Straßenboden mit offener Hose in meiner eigenen Pisse. Ich war zwar total besoffen, aber nicht so besoffen, um nicht zu merken, dass ich die Kontrolle verloren hatte. Für mich gab es nur noch eine Rettung und zwar mein Bett. Ich versuchte mich zusammenzureißen und schwang mich auf mein Hollandrad. Ich trat in die Pedale, aber ich kam nicht mal 500 Meter weit, denn ich übersah eine Absperrung. Ohne den Versuch eines Ausweichmanövers raste ich mitten auf diese massive Kette zu. Ich machte mich lang, flog über den Fahrradlenker und rutschte über den Asphalt. Vier nachgeborene Punks, alle bestenfalls so um die 20 Jahre, wahrscheinlich noch jünger, nahmen sich meiner an. Sie halfen mir auf die Füße, ketteten mein Fahrrad an und setzten mich in ein Taxi, das sie auch noch bezahlten. Sehr nette junge Menschen, auch wenn sie modisch leicht verwirrt waren.'

'Harter Trip. Und, wie geht es Dir heute?'

'Scheiße! Hab mir am linken Bein ganz schön weh getan. Aber der Abend war doch irgendwie cool! Oder? Ich weiß es einfach nicht mehr so genau...'

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