Die heißeste Nacht des Jahres
Die Meteorologen pfiffen es von den Dächern, der Sommer
war da. Um das zu erkennen, brauchte es allerdings weder Meteorologen
noch Wetterstationen, ein Schritt vor die Tür reichte,
um vom Beobachter zum Wetter-Experten zu werden. Der Himmel
war cyanblau und wolkenlos. Die Sonne brannte gnadenlose 13
Stunden am Tag nieder. Aus bebügelten, lenorfrischen
T-Shirts wurden binnen weniger Sekunden schweißnasse
Lappen, die auf den Körpern ihrer Träger klebten.
Ich bin für Smalltalk nicht besonders begabt. Mich langweilt
dieses oberflächliche Geplänkel und meistens fallen
mir die passenden Floskeln für so eine Unterhaltung nicht
ein. Also schweige ich und nicke mit dem Kopf, wenn ich es
für angebracht halte. Manchmal lache ich auch, wenn mein
Gegenüber lacht, aber eigentlich würde ich in solchen
Momenten viel lieber die Flucht ergreifen. Umso erschrockener
bin ich in letzter Zeit über mich, dass ich leidenschaftlich
über das Wetter, dem schrecklichsten Small-Talk-Thema
überhaupt, referieren und diskutieren kann.
Natürlich war ich kein Experte von einem Kalieber eines
Herrn Kachelmanns und ich hatte auch nicht den vergangenen
Sommer, den jahrhundert Sommer, vergessen, aber trotzdem wurde
ich nicht müde mich über die schweißtreibenden
Temperaturen dieses Sommers auszulassen. Zum Wetter kann schließlich
jeder eine Meinung haben.
Eine Meinung haben ist so gottverdammt einfach und kostet
auch nichts. Aber das darf doch nicht bedeuten, dass man eine
Meinung auf Teufel komm raus haben muss. 'Wenn man nichts
zu sagen hat, einfach mal Schnauze halten', sagt Dieter Nuhr
und er hat so Recht.
Das Thermometer schwang sich zu immer neuen Höchstwerten
empor und in meiner Wohnung herrschten quälende 30°
Grad. Der Schweiß schoss aus allen Poren, obwohl ich
jede Bewegung vermied. Ich dachte an Julias Worte. Sie lobte
immer ihre Wohnung, die unabhängig von der Sonneneinstrahlung
war und deshalb auch im heißesten Sommer angenehm kühl
blieb. Und dann war da noch ihr Wasserbett, dessen Temperatur
sich über einen Schalter stufenlos regeln ließ.
Julias Wohnung wäre unter diesen Bedingungen sicher der
Himmel, aber leider genauso unerreichbar.
Ich hielt es in meiner Wohnung nicht mehr aus und ging runter
zum Fluss. Hier wehte ein lauer Wind, der meine Sinne belebte
und meine Mattheit wegwehte. Ich schritt die Wiese ab und
entdeckte ein bildhübsches Mädchen, das ganz alleine
dasaß. Ich musterte sie und mein Blick traf den ihren.
Meine Knie wurden weich, aber ich ließ nicht ab. Ich
blieb bewegungslos stehen und verlor mich in diesem wunderschönen
Gesicht.
'Was machst Du hier? Bist Du ein Perverser? Willst Du unschuldige
Mädchen überfallen?'
'Nein! Nein!', meine Stimme zitterte, damit hatte ich nicht
gerechnet, dieses bildhübsche Mädchen sprach mich
an. 'Nein! Eigentlich wollte ich nur ein Bier
trinken.'
'Hier?'
'Ja!'
'Aber wo ist Dein Bier?'
'Noch beim Kiosk. Ich war gerade auf dem Weg. Möchtest
Du vielleicht auch etwas?'
'Eine light Coke! Das wäre echt nett.'
'Hören heißt gehorchen!'
'Was?'
'Ich bringe Dir gerne eine Coca-Cola light mit. Bist Du denn
noch hier, wenn ich wiederkomme?'
'Probier es aus. Ich glaube, eine Coke bin ich schon wert,
oder was meinst Du?'
'Ja! Ich heiße übrigens Hank. Bis gleich!'
'Bis gleich Hank. Mein Name ist Laura.'
Ich ging zu einem Kiosk und kaufte mir zwei Flaschen Bier
und eine Coca-Cola light. Dann ging ich zurück zu der
Wiese und zu der bezaubernden Frau.
'Hi! Hier ist Deine Coke, Laura!'
'Danke.'
'Darf ich mich neben Dich setzen?'
'Dies ist noch immer ein freies Land!'
'Heißt das JA?'
'Es heißt auf jedenfalls nicht NEIN!'
'Okay! Warum sitzt Du hier ganz alleine?'
'Ich sitze hier nicht alleine, Du bist doch da!'
'Du weißt, was ich meine!'
'Darüber möcht ich nicht nachdenken! Guck Dir den
Himmel an. Man sieht unglaublich viele Sterne.'
'Wir haben eine sternenklare Nacht.'
'Und es wird die heißeste Nacht des Jahres!'
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