Müde
Als ich wach wurde, fühlte ich mich furchtbar. Der
Schlaf der vergangenen Nacht brachte keine Erholung. Als ich
aus meinem warmen Bett stieg, war ich hundemüde. Danach
lief das allmorgendliche Ritual ab: Kaffeemaschine bestücken
- duschen - einen Becher Kaffee trinken und dazu eine Zigarette
rauchen - Toilette - mit Bruce
Gassi gehen - Zeitung kaufen - heimkehren - mehr Kaffee und
Zigaretten nebenher die Zeitung studieren.
Meine Wohnung war durchflutet vom milden Morgenlicht. Der
Himmel war freundlich gestimmt, ich war es nicht. Ich saß
auf dem Sofa, überflog die Schlagzeilen in der Tageszeitung
und trank Kaffee gegen die Müdigkeit.
Ich beobachtete angespannt die Uhr. Es war 7:47 Uhr. Ich
war unruhig. Vor 8 Uhr durfte man niemanden anrufen, dachte
ich, es sei denn, es handelte sich um einen Notfall. Einen
echten Notfall gab es nicht. Und 8 Uhr war noch immer verdammt
früh. Ich wollte auf gar keinen Fall stören, also
besser bis 8:15 Uhr warten. Mindestens!
Während ich wartete, trank ich einen weiteren Becher
Kaffee und rauchte zahllose Zigaretten. Gegen meine Müdigkeit
half weder der Missbrauch von Koffein noch die erhöhte
Dosis an Nikotin. Stattdessen wurde ich fickrig und in mir
stieg eine verunsichernde Ungeduld auf. Ich konnte nicht mehr
nur einfach dasitzen. Ich sprang auf und flitzte durch meine
Wohnung, goss die Zimmerpflanzen und begann damit meine Fenster
zu Putzen.
Um exakt 8:20 Uhr stoppte ich mich und meinen blinden Aktivismus.
Ich holte mir einen frischen Becher Kaffee aus der Küche
und setzte mich wieder aufs Sofa. Ich nahm das Telefon in
die Hand, legte es aber sofort wieder zurück auf den
Couchtisch, als ich bemerkte, wie sehr ich zitterte. Die innere
Unruhe hatte die Kontrolle über meine Extremitäten
übernommen. Ich versuchte gegenzusteuern, indem ich bewusst
und tief atmete.
Nach ewigen Minuten unternahm ich einen zweiten Versuch.
Ich tippte Julias Nummer in den Telefonhörer, wie ich
es seit unserem letzten Treffen schon einige hundertmal getan
hatte. Ich fürchtete mich vor dem monotonen Freiton,
den ich in den letzten Tagen nur allzu oft gehört hatte.
Ich erwartete das Freitonsignal, aber ich hoffte auf Julias
Stimme. Stattdessen überraschte mich eine automatische
Ansage: 'Kein Anschluss unter dieser Nummer!'
Verwählt! So ein Mist! Ich wählte Julias Nummer
auf ein Neues. Wieder hörte ich die weibliche Stimme
sagen: 'Kein Anschluss unter dieser Nummer!' Ich verstand
nicht, was gerade passierte. Was machte ich falsch. Ich nahm
mein kleines Adressbuch in dem all meine Kontakte standen
zur Hilfe und suchte nach Julias Telefonnummer. Ich las mir
Julias Telefonnummer dreimal laut vor. Ich entdeckte keinen
Fehler, das war die Nummer, die ich gerade gewählt hatte.
Ich versuchte es noch einmal. Hoch konzentriert tippte ich
aus dem Adressbuch die Ziffern ein, während ich parallel
mit dem linken Zeigefinger auf dem Papier folgte.
'Kein Anschluss unter dieser Nummer!'
Was hatte das zu bedeuten? Meine Enttäuschung war maßlos.
Ich verstand gar nichts. Mir wurde schummrig. Meine Welt bebte
und ich fiel in einen gewaltigen Strudel aus Unwissenheit.
Wo war Julia?
Während ich versuchte, eine Antwort für mich zu
finden, machte sich die Müdigkeit wieder breit. Sie brachte
mich dazu, mich quer auf das Sofa zu legen. Ich starrte gegen
die Decke und dachte über all die Möglichkeiten
nach, die ich hatte. Dann fiel mir ein, wieviele ich schon
vergeben hatte. Ich wog ab, aber die offenen Möglichkeiten
siegten, weil sie zahllos waren. Natürlich würde
ich auch wieder viele von ihnen verschenken, aber noch hatte
ich die Chance aufs große Glück. Während ich
so dachte, wurden mir die Lieder schwer und mich überkam
immer mehr die Müdigkeit. Ich war schon halb im Schlaf,
als ich noch einmal an Julia dachte.
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