Jessica
Seit etwa zehn Tagen beobachtete ich mich und mein Verhalten
akribisch. Egal was ich tat oder sein ließ, ich hinterfragte
es. Ich war mir auf den Fersen, immer auf der Suche nach dem
Sinn, vielleicht sogar dem tieferen.
Je mehr ich mich selbst observierte, umso seltsamer kam ich
mir vor. Meine Handlungen schienen auf einmal total sinnlos,
ja vielleicht sogar selbstgefährdend, zu sein.
Ich entschied mich dazu, nur noch ganz ruhig dazusitzen.
"Nichts sehen! Nichts hören! Nichts sagen!",
das Motto der drei weisen Affen erschien mir plausibel und
nachahmenswert.
Während ich einfach nur in einem Sessel saß und
gar nichts tat, wechselte mein über mir schwebender Beobachter
die Perspektive und tauchte in mich ein, um durch mich nach
außen zu blicken.
Ich erblickte auf einmal die Welt in den schillernsten Farben.
Es war so, als ob mir jemand plötzlich eine Augenbinde
heruntergerissen hätte und ich zum ersten Mal einen Blick
auf die Welt werfen würde. Mein Bewusstsein wurde von
den unfassbaren Möglichkeiten förmlich erschüttert.
Es gab noch so viel zu entdecken, auszukosten und auszuschlagen.
Mir wurde schwindelig. In diesem erhellenden Moment vergaß
ich Julia und dachte ausschließlich an die drei Milliarden
Frauen auf dieser Welt, die ich bisher noch nicht kannte.
Beflügelt durch den Gedanken an drei Milliarden potentiellen
Ehefrauen, kochte ich eine Kanne Kaffee. Danach ging ich zu
meiner Musiksammlung ins Wohnzimmer. Ohne darüber nachzudenken
griff ich wie ferngesteuert nach einer CD und legte sie in
den Player.
Die Musik erklang und ich erschrak. Ich sank in eins der
Sitzmöbel und blieb wie gelähmt sitzen. Damit hatte
ich nicht gerechnet. Mit ihr hatte ich nicht gerechnet. 'Jessica'.
Warum dieser Song? Warum jetzt? Wieso hatte ich ausgerechnet
diese CD aus meinem Fundus herausgefischt?
Adam Green sang seinen Song über Jessica Simpson und
ich saß bewegungslos dar. All die verheißungsvollen
Möglichkeiten erblassten. Stattdessen manifestierte sich
Julias Gesicht vor meinem geistigen Auge.
Julia hatte diesen Song gehasst - wirklich gehasst. Und genau
deshalb musste ich an sie denken.
Ich wurde wehmütig und dachte daran, mir einen Finger
abzuschneiden. Stattdessen holte ich mir Kaffee, entzündete
ein Marlboro und hörte 'Jessica' in Endlosschleife.
'Jessica' by Adam Green (2003)
jessica simpson
where has your love gone
it's not in your music
no
you need a vacation
to wake up the cavemen
and take them to mexico
jessica, jessica simpson
you've got it all wrong
your fraudulant smile
the way that you think that the day you die
my body's in trembles
infested with brambles
that sharpen the air i breathe
what's in the menu
jessica can you
take down my order please
jessica, jessica simpson
you've got it all wrong
your fraudulent smile
the way that you think it the day that you died
tomorrow gets closer
a purple bulldozer
is calling you on the phone
your lovelife precedes you
your son in law feeds you
injections of cortizone
jessica, jessica simpson
you've got it all wrong
your fraudulent smile
the way that you think it the day that you died
jessica simpson
where has your love gone
its not in your music
so where has it gone?
jessica...
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