Down & Out
Nach dem Frühstück, das aus Kaffee, Zigaretten
und der Tageszeitung bestand, machte ich mich auf den Weg
zu meinem türkischen Barbier. Aus zahlreichen Gründen
lehnte ich die üblichen Frisörsaloons ab, wo nur
unterbelichtete Blondinen oder aber hässliche Schwuletten
arbeiteten.
Ich werde jedesmal richtiggehend unleidlich (ja, fast wütend),
wenn ich beim einfachen Haaretrimmen vollgequatsch werde.
Ich will nicht übers Wetter, die Arbeit, Fußball,
den nächsten Urlaub - irgendeiner kommt entweder gerade
aus dem Urlaub oder plant gerade einen (immer!) - oder irgendeine
königliche Hochzeit sprechen. Deshalb gehe ich zu den
Türken. Die ignorieren mich, denn ich bin keiner von
ihnen und sie sind auf mich nicht eingestellt. Die Türken
reden natürlich auch die ganze Zeit, das lernen Frisöre
wohl in der Ausbildung, aber miteinander und auf Türkisch.
Ich versteh kein Wort. Es geht mich ja auch nichts an - wahrscheinlich
machen sie sich über mich lustig. Deshalb ignoriere ich
es, wie den permanenten Straßenlärm und schalte
ab.
Das Wetter gab ein vorsichtiges Versprechen auf den Sommer.
Ich entschied mich, den Barbier meines Vertrauens zu Fuß
aufzusuchen. Ich schlenderte gemächlich durch die Stadt
und rauchte nebenher. Ich hatte es nicht eilig, ich hatte
keinen Termin.
Türkische Barbiere vergeben gar keine. Man kommt einfach,
setzt sich und wartet, während man Tee trinkt und raucht-
gerne auch auf der Wasserpfeife - natürlich Tabak. Irgendwann
ist man an der Reihe. Es dauert nie allzu lange. Leider gab
es dort nie etwas zu lesen, jedenfalls in keiner Sprache die
ich verstand. Deshalb kaufte ich mir an einem Kiosk noch eine
Ausgabe des Spin-Magazins.
Direkt neben dem kleinen Kiosk stand ein Mann auf dem Gehweg,
der mich höflich ansprach:
'Ein schönen guten Tag wünsche ich. Entschuldigung,
junger Herr. Hätten Sie vielleicht etwas Kleingeld für
mich?'
Ich musterte den Fremden. Ich bemerkte augenblicklich seinen
schlechten Allgemeinzustand. Aber obwohl er dreckig war und
seine Kleidung zerschlissenen, unterschied ihn doch seine
aufrechte Körperhaltung, von den übrigen Bettlern.
Außerdem war seine Sprache auffallend höflich,
ich versuchte es ihm gleich zu tun.
'Mein Herr, ich habe sicherlich etwas Wechselgeld in meiner
Geldbörse, das ich erübrigen kann!', als ich diesen
Satz sagte, konnte ich mich vor Lachen kaum noch halten. Ich
bemerkte, wie der Sarkasmus in mir aufstieg und ich schämte
mich. 'Hey, mein Name ist Hank! Ich bin meistens ein Arschloch,
aber ich will gerade keins sein. Tut mir leid.'
'Das ist okay, immerhin schlagen Sie mir nicht direkt ins
Gesicht oder treten nach mir. Auch spucken Sie mir nicht ins
Gesicht und beschimpfen mich.'
Ich wunderte mich etwas, der heruntergekommene Kerl blieb
konsequent beim Sie. Ich wollte nicht herablassend wirken
und tat es ihm gleich.
'Sagen Sie mal, guter Mann, wofür brauchen Sie denn
das Geld? Ich weiß, die Frage muss sich für Sie
verrückt anhören. Ich meine nur, wenn Sie sich davon
vielleicht Bier kaufen
wollen, dann würde ich hier jetzt in den Kiosk zurückgehen
und uns ein paar Flaschen kaufen.'
Der alte Zausel guckte mich traurig mit großen Augen
an, dann sagte er mit zittriger Stimme: 'Junger Herr, Sie
führen mich doch vor! Das ist nicht nett. Wissen Sie,
Stolz kostet zwar nichts, aber wir armen Leute können
ihn uns nicht leisten. Ich würde jetzt sehr gerne ein
Bier trinken.'
'Das ist doch wunderbar. Haben Sie eine Lieblingsmarke?'
'Ach nein, schon lange nicht mehr. Es sollte nur nicht allzu
kalt sein, wegen des Magens, wissen Sie?'
Ich wusste nicht, aber ich ahnte es. Ich ging zurück
in den Kiosk und kaufte für uns sechs Flaschen KöPi,
davon drei kalte für mich und drei zimmerwarme für
den Fremden. Außerdem noch ein paar belegte Brötchen.
Ich musterte kurz die kleinen Schnapsfläschchen, entschied
mich dann aber doch dagegen. Ich ließ mir meinen Einkauf
in zwei Plastiktüten packen und ging dann zurück
auf die Straße.
Der namenlose Fremde stand geduldig auf dem Gehsteig und
als er mich vollgepackt herauskommen sah, huschte ein Lächeln
über sein Gesicht.
'Guter Mann, was halten Sie davon, wenn wir runter zum Fluss
gehen und dort unser Bier
verköstigen?', fragte ich etwas zu sehr gestelzelt.
'Junger Herr, was immer Sie sagen.'
Wir gingen runter zum Fluss. Es dauerte etwas länger,
als ich gedacht hatte, aber mein Begleiter war nicht so gut
zu Fuß. Er humpelte und zog sein rechtes Bein nach,
was auf mich sehr anstrengend wirkte. Wir erreichten die Promenade,
die zu dieser Uhrzeit fast menschleer war. Ich erblickte eine
freie Bank in der Sonne.
'Setzen wir uns doch hier vorne auf die Bank. Ich habe uns
auch ein paar Brötchen gekauft. Möchten Sie erst
ein Bier oder vielleicht
etwas Handfestes für den Magen? Ich habe auch Brötchen
gekauft.'
'Haben Sie vielleicht eins mit Käse? Ich mag Käse,
wissen Sie?'
Auch das wußte ich bisher noch nicht. Aber ich hatte
zufälligerweise zwei Brötchen, die mit Gauda belegt
waren und eins mit Schinken und eins mit Salami. Ich reichte
die Käsebrötchen dem Alten. Er nahm sie mit zittrigen
Händen entgegen und über sein Gesicht huschte wieder
dieses Lächeln, dass man sonst nur bei Kindern unter
dem Weihnachtsbaum bei der Bescherung sieht.
Er fing an, das erste Brötchen mit seinen verschmutzten
Fingern in kleine Stücke zu zerreißen und sich
diese dann genüsslich in den Mund zu stecken. Erst verstand
ich nicht, aber dann wurde mir klar, dass ihm seine Schneidezähne
fehlten.
Während der Alte die beiden Brötchen aß,
zündete ich mir eine Zigarette an. Noch bevor ich aufgeraucht
hatte, leckte er sich die Finger und blickte mich wieder mit
seinen großen Augen an.
'Junger Herr, vielen Dank für das gute Frühstück!',
lächelte er mich zahnlos an.
Ich griff in die eine Tüte und holte ein warmes Bier
hervor. Ich öffnete es mit meinem Feuerzeug und reichte
es ihm. Dann fischte ich in der anderen Tüte, um ein
kaltes Bier für
mich herauszuziehen. Dabei beobachtete ich den Alten, der
andererseits mich und die Flasche in seinen Händen begierig
beobachtete, aber höflich auf mich wartete.
'Junger Herr, vielen Dank für alles. Würde ich
noch an Gott glauben, würde ich sagen, er hat Sie geschickt.
Aber da ich weiß, dass der Teufel mich fest in seinen
garstigen Klauen hält, sage ich nur, wohl bekomm´s'
'Wohl bekomm´s!', entgegnete ich dem Alten, dessen
Namen ich nicht wusste.
Wir ließen die Bierflaschen gegeneinander klirren.
Tranken. Schauten aufs Wasser. Und schwiegen. Meine Haare
ließ ich noch einen Tag weiter wachsen.
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