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home » tagebuch » 14.05.2004
TAGEBUCH: 14.05.2004 notes of a dirty old man
Down & Out

Down & Out

Nach dem Frühstück, das aus Kaffee, Zigaretten und der Tageszeitung bestand, machte ich mich auf den Weg zu meinem türkischen Barbier. Aus zahlreichen Gründen lehnte ich die üblichen Frisörsaloons ab, wo nur unterbelichtete Blondinen oder aber hässliche Schwuletten arbeiteten.

Ich werde jedesmal richtiggehend unleidlich (ja, fast wütend), wenn ich beim einfachen Haaretrimmen vollgequatsch werde. Ich will nicht übers Wetter, die Arbeit, Fußball, den nächsten Urlaub - irgendeiner kommt entweder gerade aus dem Urlaub oder plant gerade einen (immer!) - oder irgendeine königliche Hochzeit sprechen. Deshalb gehe ich zu den Türken. Die ignorieren mich, denn ich bin keiner von ihnen und sie sind auf mich nicht eingestellt. Die Türken reden natürlich auch die ganze Zeit, das lernen Frisöre wohl in der Ausbildung, aber miteinander und auf Türkisch. Ich versteh kein Wort. Es geht mich ja auch nichts an - wahrscheinlich machen sie sich über mich lustig. Deshalb ignoriere ich es, wie den permanenten Straßenlärm und schalte ab.

Das Wetter gab ein vorsichtiges Versprechen auf den Sommer. Ich entschied mich, den Barbier meines Vertrauens zu Fuß aufzusuchen. Ich schlenderte gemächlich durch die Stadt und rauchte nebenher. Ich hatte es nicht eilig, ich hatte keinen Termin.

Türkische Barbiere vergeben gar keine. Man kommt einfach, setzt sich und wartet, während man Tee trinkt und raucht- gerne auch auf der Wasserpfeife - natürlich Tabak. Irgendwann ist man an der Reihe. Es dauert nie allzu lange. Leider gab es dort nie etwas zu lesen, jedenfalls in keiner Sprache die ich verstand. Deshalb kaufte ich mir an einem Kiosk noch eine Ausgabe des Spin-Magazins.

Direkt neben dem kleinen Kiosk stand ein Mann auf dem Gehweg, der mich höflich ansprach:

'Ein schönen guten Tag wünsche ich. Entschuldigung, junger Herr. Hätten Sie vielleicht etwas Kleingeld für mich?'

Ich musterte den Fremden. Ich bemerkte augenblicklich seinen schlechten Allgemeinzustand. Aber obwohl er dreckig war und seine Kleidung zerschlissenen, unterschied ihn doch seine aufrechte Körperhaltung, von den übrigen Bettlern. Außerdem war seine Sprache auffallend höflich, ich versuchte es ihm gleich zu tun.

'Mein Herr, ich habe sicherlich etwas Wechselgeld in meiner Geldbörse, das ich erübrigen kann!', als ich diesen Satz sagte, konnte ich mich vor Lachen kaum noch halten. Ich bemerkte, wie der Sarkasmus in mir aufstieg und ich schämte mich. 'Hey, mein Name ist Hank! Ich bin meistens ein Arschloch, aber ich will gerade keins sein. Tut mir leid.'

'Das ist okay, immerhin schlagen Sie mir nicht direkt ins Gesicht oder treten nach mir. Auch spucken Sie mir nicht ins Gesicht und beschimpfen mich.'

Ich wunderte mich etwas, der heruntergekommene Kerl blieb konsequent beim Sie. Ich wollte nicht herablassend wirken und tat es ihm gleich.

'Sagen Sie mal, guter Mann, wofür brauchen Sie denn das Geld? Ich weiß, die Frage muss sich für Sie verrückt anhören. Ich meine nur, wenn Sie sich davon vielleicht Bier kaufen wollen, dann würde ich hier jetzt in den Kiosk zurückgehen und uns ein paar Flaschen kaufen.'

Der alte Zausel guckte mich traurig mit großen Augen an, dann sagte er mit zittriger Stimme: 'Junger Herr, Sie führen mich doch vor! Das ist nicht nett. Wissen Sie, Stolz kostet zwar nichts, aber wir armen Leute können ihn uns nicht leisten. Ich würde jetzt sehr gerne ein Bier trinken.'

'Das ist doch wunderbar. Haben Sie eine Lieblingsmarke?'

'Ach nein, schon lange nicht mehr. Es sollte nur nicht allzu kalt sein, wegen des Magens, wissen Sie?'

Ich wusste nicht, aber ich ahnte es. Ich ging zurück in den Kiosk und kaufte für uns sechs Flaschen KöPi, davon drei kalte für mich und drei zimmerwarme für den Fremden. Außerdem noch ein paar belegte Brötchen. Ich musterte kurz die kleinen Schnapsfläschchen, entschied mich dann aber doch dagegen. Ich ließ mir meinen Einkauf in zwei Plastiktüten packen und ging dann zurück auf die Straße.

Der namenlose Fremde stand geduldig auf dem Gehsteig und als er mich vollgepackt herauskommen sah, huschte ein Lächeln über sein Gesicht.

'Guter Mann, was halten Sie davon, wenn wir runter zum Fluss gehen und dort unser Bier verköstigen?', fragte ich etwas zu sehr gestelzelt.

'Junger Herr, was immer Sie sagen.'

Wir gingen runter zum Fluss. Es dauerte etwas länger, als ich gedacht hatte, aber mein Begleiter war nicht so gut zu Fuß. Er humpelte und zog sein rechtes Bein nach, was auf mich sehr anstrengend wirkte. Wir erreichten die Promenade, die zu dieser Uhrzeit fast menschleer war. Ich erblickte eine freie Bank in der Sonne.

'Setzen wir uns doch hier vorne auf die Bank. Ich habe uns auch ein paar Brötchen gekauft. Möchten Sie erst ein Bier oder vielleicht etwas Handfestes für den Magen? Ich habe auch Brötchen gekauft.'

'Haben Sie vielleicht eins mit Käse? Ich mag Käse, wissen Sie?'

Auch das wußte ich bisher noch nicht. Aber ich hatte zufälligerweise zwei Brötchen, die mit Gauda belegt waren und eins mit Schinken und eins mit Salami. Ich reichte die Käsebrötchen dem Alten. Er nahm sie mit zittrigen Händen entgegen und über sein Gesicht huschte wieder dieses Lächeln, dass man sonst nur bei Kindern unter dem Weihnachtsbaum bei der Bescherung sieht.

Er fing an, das erste Brötchen mit seinen verschmutzten Fingern in kleine Stücke zu zerreißen und sich diese dann genüsslich in den Mund zu stecken. Erst verstand ich nicht, aber dann wurde mir klar, dass ihm seine Schneidezähne fehlten.

Während der Alte die beiden Brötchen aß, zündete ich mir eine Zigarette an. Noch bevor ich aufgeraucht hatte, leckte er sich die Finger und blickte mich wieder mit seinen großen Augen an.

'Junger Herr, vielen Dank für das gute Frühstück!', lächelte er mich zahnlos an.

Ich griff in die eine Tüte und holte ein warmes Bier hervor. Ich öffnete es mit meinem Feuerzeug und reichte es ihm. Dann fischte ich in der anderen Tüte, um ein kaltes Bier für mich herauszuziehen. Dabei beobachtete ich den Alten, der andererseits mich und die Flasche in seinen Händen begierig beobachtete, aber höflich auf mich wartete.

'Junger Herr, vielen Dank für alles. Würde ich noch an Gott glauben, würde ich sagen, er hat Sie geschickt. Aber da ich weiß, dass der Teufel mich fest in seinen garstigen Klauen hält, sage ich nur, wohl bekomm´s'

'Wohl bekomm´s!', entgegnete ich dem Alten, dessen Namen ich nicht wusste.

Wir ließen die Bierflaschen gegeneinander klirren. Tranken. Schauten aufs Wasser. Und schwiegen. Meine Haare ließ ich noch einen Tag weiter wachsen.

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