Midlife-Crisis
Seit ich mit Julia nicht mehr zusammen war, pflegte ich
einen ungesunden Lebensstil. Abends ging ich auf die Piste
und betrank mich hemmungslos. Am nächsten Morgen erwachte
ich regelmäßig mit einem Kater neben einer namenlosen
Schlampe und fühlte mich wie Abschaum.
Als ich heute Morgen wach wurde, konnte ich mich wieder einmal
nicht an die letzte Nacht erinnern. Mein Körper war schwer
wie Blei und in meinem Kopf explodierten Atombomben.
Ich lag auf dem Rücken. Regungslos. Ich fühlte
mich wie gelähmt. Ich starrte einfach nur gegen eine
Decke, die ich nicht wieder erkannte. Ohne meinen Kopf zu
bewegen, ließ ich meinen Blick wandern. Aber egal was
ich inspizierte, alles war mir fremd.
Mit einer gehörigen Portion Willensstärke und unter
erheblichen Schmerzen, wuchtete ich meinen matten Körper
nach Links.
Mein Blick fiel auf eine Frau. Direkt neben mir. Im gleichen
Bett. Schlafend. Jung. Sündig. Wunderschön.
Wer war sie? Wie sehr ich auch versuchte, mich zu erinnern,
es gelang mir nicht. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung,
wer neben mir lag. Schon wieder nicht.
Die Situation war erbärmlich. Ich hatte einen rekordverdächtigen
Kater, der mich dazu brachte, Gott um Gnade anzuflehen. Ich
war dem Heulen nahe. Außerdem hatte ich meinen Verstand
verloren. Zumindest mein Gedächtnis. Die Erinnerung an
die letzten zwei Wochen waren in einem alkoholgeschwängerten
Schwarzen Loch verloren gegangen. Ebenso meine Selbstachtung.
Was hatte ich hier verloren? In dieser fremden Wohnung? In
diesem Bett? Neben diesem jungen hübschen Ding?
Nichts! Absolut gar nichts! Ich gehörte hier nicht her.
Das alles war ein großer Witz. Ich war ein Witz!
Ich wollte aufspringen, mich anziehen, verschwinden und mein
ganzes Leben ändern, aber ich fühlte mich zu schwach.
Ich blieb liegen und starrte gegen die Decke.
Wirre Gedanken schossen mir in den Sinn: Eigentlich wollte
ich heiraten - Julia - Tolle Frau - Hat nicht gepasst - Alle
wollen dieses Jahr am 20.04.2004 heiraten - Prägnantes
Datum - Hitlers Geburtstag - Schlechte Wahl! - Heiraten ist
eh Blödsinn - Heiraten ist wunderbar - ich will heiraten!
Meine Gedanken waren noch schlimmer als der Kater. Also schlüpfte
ich behutsam und von Schmerzen begleitet aus dem warmen Bett.
Ich zog mich an und verließ leise die fremde Wohnung.
Vor dem Haus wartete ich rauchend auf ein vorbeifahrendes
Taxi. 40 Minuten und drei Marlboros später hielt endlich
eins. Ich sprang ein und teilte dem Fahrer meine Adresse mit.
'Willst Du mich verarschen?', bellte mich der unrasierte
Taxifahrer an.
'Nein.'
'Raus hier!'
'Was soll das? Ich war höflich. Was habe ich falsch
gemacht? Ich will doch nur noch nach Hause.'
'Du bist bereits zu Hause!'
Ich starrte den Fahrer ungläubig an, dann schaute ich
mich um. Er hatte Recht. Wir standen direkt vor meiner Haustür.
'Wenn das so ist, dann fahren Sie einfach mal los. Einfach
nur los. Egal wohin! Ich habe ca. 200 Euro in bar dabei. Zum
Notfall halten wir noch an einem Automaten. Fahren Sie! Bitte!'
|