Arschloch
Ich fühlte mich unwohl in meiner Haut, deshalb hatte
ich mir gestern auch einen Vollsuff gesetzt. Was natürlich
nichts half. Ich fühlte mich noch immer wie ein Arschloch,
allerdings wie ein Arschloch mit einem mörderischen Kater.
Was war mit mir los? Eigentlich wollte ich heiraten. So war
eigentlich der Plan. Und Julia war eigentlich keine schlechte
Partie. Eigentlich war sie genau genommen eine ideale Kandidatin.
Julia war eine Traumfrau! Eigentlich.
Und uneigentlich? Woher kamen meine Zweifel? Und warum war
ich in dem Theater so ausgeflippt? Was lief schief?
Ich wäre meinen Gedanken gerne weiter nachgegangen,
aber der Kater war dabei, mir mein Hirn zu zerquetschen.
Ich brauchte ein Gegengift. Ich fand es in der Küche.
In einer Schublade, die ich längst vergessen hatte, stieß
ich auf Acetylsalicylsäure und Paracetamol.
Ich schmiss mir vier - je zwei - Tabletten ein und spülte
sie mit einem halben Liter Gatorade runter. Danach setzte
ich Kaffee auf und stieg unter die Dusche.
Es war wie immer ein kleines Wunder: das heiße Wasser,
das auf meinen matten Körper niederprasselte, trieb Tropfen
für Tropfen den Kater heraus und spülte ihn in den
Abfluss.
Ich seifte mich gerade zum zweiten Mal von Kopf bis Fuß
ein, als das Telefon klingelte.
Dieses verdammte Telefon! Es klingelte. Und ich? Ich war
über und über mit Duschgel benetzt. Aber ich war
neugierig. Wer war der Anrufer? Ich wollte nicht warten, bis
mein Anrufbeantworter die Angelegenheit klärte. Ich sprang
schaumgebadet und pudelnass aus der Dusche und hechtete zum
Telefon. In dem Moment, in dem ich den Hörer ergriff,
verstummte das Klingeln. Ich war zu spät. Bekackt! Wer
war nur der Anrufer?
Ich schlich zurück unter die Dusche und wusch den Schaum
von mir ab, als das Telefon wieder klingelte. Diesmal blieb
ich cool und beendete die Prozedur, obwohl mir meine Neugier
neue Kopfschmerzen bereitete. Kurz bevor der AB anspringen
konnte, brach das Klingeln ab. Ich hingegen trocknete mich
in aller Ruhe ab und ignorierte das Telefon.
Als ich gerade dabei war mir Klamotten anzuziehen, ertönte
schon wieder der nervtötende Sound meines Telefons. Ich
stürmte los. Diesmal war ich schnell genug.
'Hi! Wer stört?'
'Ich störe also?'
Die Stimme vom anderen Ende der Leitung klang nett. Und sehr
vertraut. Es war Julia.
'Wobei habe ich Dich denn gestört? Habe ich Dich beim
Schlafen gestört? Habe ich Dich geweckt?'
'Nicht wirklich. Ich stand unter der Dusche.'
'Und? Hast Du Deine Würde wiedererlangt?'
Julias Stimme war ohne Spott, was mich irritierte.
'Duschen war okay.'
'Ja, ich weiß! Hattest Du auch schon einen Kaffee?'
Nein! Wann denn? Blöde Kuh!
'Die Kaffeemaschine ist gerade fertig, ich nehm mir jetzt
mal einen.'
'Mach das! Ohne funktionierst Du ja nicht!', sie lachte.
'Ich funktioniere also nicht?', fragte ich zurück und
kam mir sehr clever vor.
'Du weißt genau, was ich meine. Du bist ein Kaffee-Junkie.'
Natürlich wußte ich, was sie meinte. Wir hatten
oft genug darüber Witze gemacht und dann gemeinsam gelacht.
'Ja, ich weiß.', sagte ich kleinlaut. Mir wurde bewusst,
wie gut mich Julia kannte. Wie vertraut ich ihr war. Wie nah
wir uns gekommen waren.
'Du warst ein echtes Arschloch!'
Sie hatte Recht, ich war ein Arschloch. Ich widersprach nicht.
'Dein absurder Auftritt im Theater hat mich sehr verletzt!'
'Tut mir leid! Entschuldige.' sagte ich, weil es mir wirklich
leid tat.
'Dir tut es immer leid! Aber das brauche ich nicht!'
Julia schwieg und ich traute mich nicht, etwas zu sagen.
Was auch? Das Schweigen lähmte mich und ich fühlte
mich noch unwohler.
'Das habe ich nicht verdient! Und dafür bin ich mir
auch zu schade.', sagte sie ruhig und sachlich. Sie machte
wieder eine Pause. Ich hörte ihren schweren Atem durch
den Telefonhörer. Ich schwieg auch. Mir war das alles
zu viel.
'Hank, Du bist ein echtes Arschloch!'
'Ja, das bin ich wohl.'
'Arschloch!'
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