If You Want Blood - You've Got It
Die letzten Tage hatte ich damit verbracht, die verschiedensten
Straßencafés aufzusuchen. Ich trank Kaffee, zumeist
Latte Macchiato aka. Espressomilch, kämpfte mich durch
die ausliegenden Print-Medien und beobachtete ganz beiläufig
das Verhalten des eigenartigen Säugetiers Mensch. Meine
Tage verliefen ruhig, entspannt und waren durchflutet von
einer glücksspendenden Gelassenheit.
Leider konnte ich diese Gelassenheit nicht übers Wochenende
retten. Gestern änderte sich mein Tagesablauf drastisch.
Mich zog es wieder in die Altstadt und ich betrank mich aufs
Schändlichste. Was nicht ohne Folgen blieb.
Als ich heute Morgen aufwachte, nahm ich die Welt nur schielend
und verschwommen wahr, meine Zunge war über Nacht zu
einem muffigen Pelztier mutiert, in meinem Magen spielten
fremde Wesen ekstatisch Pingpong und mein Hirn versuchte wieder
einmal die Schädeldecke zu sprengen. Ich konnte nicht
auf die körpereigenen Rettungsmechanismen hoffen, dies
war ein klarer Fall für die Chemie. Ich schleppte mich
zu meinem Giftschrank bzw. zu der Schublade in der Küche,
die diverse Medikamente bereithielt. Ich hatte Glück,
denn ich hatte die Auswahl zwischen Aspirin, Paracetamol oder
Ibuprofen. Ich zögerte nicht lange und entschied mich
für letzteres. Ich hatte schon seit einiger Zeit den
Verdacht, dass mein Körper sich mit Aspirin zu sehr angefreundet
hatte und in Folge dessen resistent geworden war.
Ich applizierte mir eine großzügig bemessene Menge
Ibuprofen und schritt sogleich entschlossen ins Bad, um mit
der Zahnbürste und reichlich Odol den Pelz von meiner
Zunge zu vertreiben. Danach stieg ich unter die Dusche. Das
heiß niederprasselnde Wasser hatte zweierlei Wirkung:
erstens spürte ich meine Körper wieder und der Gestank
der letzten Nacht wurde Tropfen für Tropfen aus meinen
Haaren und meinen Poren gespült, zweitens kehrte meine
Erinnerung auch ganz allmählich wieder.
Ich erinnerte mich zwar nicht an jedes einzelne Bier,
das ich in der letzten Nacht getrunken hatte, aber peu à
peu schälten sich aus dem dichten Nebel, der vor meinem
Gedächtnis lag, einzelne konturierte Bilder und schrittweise
erkannte ich sogar zusammenhängende Szenen.
Der gestrige Abend begann im BAGEL, das durch die beeindruckende
Stuckdecke und die eigenartigen dunkelbraune Holztäfelung,
eine ganz eigene Atmosphäre versprühte. Für
einen gemächlichen und gepflegten Einstieg genau die
richtige Lokalität. Hier konnte man in angenehmer Atmosphäre
erst einmal ein paar Biere
trinken, bevor man sich ins turbulente Nachtleben stürzte.
Jeff, Cris und ich
tranken, nicht gemächlich, sondern ambitioniert, wie
der Deckel
nachhaltig belegt.
Als wir das BAGEL gegen ca. halb eins verließen, war
ich schon leicht angeschlagen und etwas wackelig auf den Beinen,
aber ich hatte Blut geleckt und ich wollte mehr. Mehr von
allem! Mehr zu trinken. Mehr Musik. Mehr Menschen. Mehr Frauen.
Mehr Leben!
Erst einmal bekam ich mehr zu trinken. Wir kauften am Kiosk
Flaschenbier und schlenderten über die Ratinger, die
wie immer am Wochenende und bei annehmbarer Witterung stark
frequentiert war.
Die Ratinger erwies sich für uns allerdings nicht als
die verheißungsvolle Amüsiermeile, die sie auf
den ersten Blick zu sein schien. Die vielen ausgelassenen
Menschen genügten sich selber, Neuankömmlinge wie
wir wurden höflichst ignoriert. Egal was wir anstellten,
der Funke wollte nicht überspringen. Vielleicht waren
wir aber auch einfach schon zu angetrunken und ein klein bisschen
unangenehm. Was es auch war, wir wechselten in den 'Weißen
Bären', wo wir nicht unangenehm auffallen würden,
das dortige Stammpublikum hatte uns einiges voraus. Wir bestellten
ein paar Runden Alt
und redeten Blödsinn, was man(n) halt so in dunklen Kneipen
um 2 Uhr Nachts macht. Insgesamt war auch der WEIßEN
BÄR wenig anregend, die Musik war zwar gut wie immer,
in Würde gealtert Hardrock aus den 80ern und 90ern und
ein paar unkaputtbare Klassiker (z.B. 'Sympathy For The Devil'),
aber die Stimmung erinnerte eher an ein müdes Klassentreffen,
als an ein entfesseltes Rockfestival.
Ganz allmählich wurden wir uns unserer latenten Müdigkeit
bewusst. Das war nicht gut. Der Abend begann in den letzten
Zügen zu liegen. Um ihn noch einmal zu reanimieren, brauchte
es eine gewaltige Portion Adrenalin. Mir kam eine Idee: NIGHT-LIVE.
Schon letztes Wochenende erwies sich das NIGHT-LIVE als Stimmungshochburg.
Warum sollte die Kombination aus Live Musik und frisch gezapften
Bier nicht auch in dieser Nacht funktionieren?
Wir verließen den WEIßEN BÄREN, überquerten
die Straße und legten die paar Meter zum DÄ SPIEGEL
im Wiegeschritt zurück. Dort ließen wir uns von
einem stämmigen und brutal aussehenden Türsteher
abscannen. Bei dieser Prozedur fragte ich mich immer, wie
man wohl aussehen bzw. welchen Zustand man erreicht haben
müsste, um hier ausgemustert zu werden? Hier kam doch
wirklich jeder rein. Obwohl, wenn ich es recht bedachte, die
Ausländerquote war verschwindend klein. Darüber
hatte ich mir vorher nie Gedanken gemacht. Schon seltsam.
Vielleicht doch ein scheiß Laden? Gedanken unbedingt
abspeichern und bei nächster Gelegenheit weiterverfolgen.
Der mit einiger Sicherheit vorbestrafte Türsteher winkte
uns durch und wir stiegen die steilen Stufen in die erste
Etage empor und purzelten ins NIGHT-LIVE und in eine schweißtreibende
Party. Eine unbekannte Cover-Band gab allseits bekannte Songs
zum Besten, das Publikum rockte mit und wir organisierten
schnellst möglich Bier
vom Tresen, um endlich wieder etwas zu haben, an dem wir uns
festhalten konnten.
Das NIGHT-LIVE war wie immer gut besucht, aber diesmal nicht
zu voll. Wir fanden ganz unproblematisch Platz in der Menge,
von wo aus wir die Szenerie überblicken und ganz gelassen
unser Bier trinken
konnten. Auf der winzigen Bühne stand eine sechsköpfige
Band, die alles gab, um das Publikum zu unterhalten. LET ME
ENTERTAIN YOU!
Ich versuchte mir einen Überblick zu verschaffen. Mein
Blick streifte von der Bühne über den Tresen hinweg
auf die ganzen Menschen, die aus dem gleichen Grund hier waren,
wie ich: Spaß
Ich hielt inne, als ich eine großgewachsene hübsche
Blondine entdeckte. Ich kann nicht mehr sagen, was mich genau
an ihr faszinierte, aber ich konnte meine Augen nicht mehr
von ihr lassen. Ich fixierte sie. Sie alberte mit ein paar
anderen Frauen, ganz offenbar ihre Freundinnen, herum und
lachte viel. Dabei entdeckte ich, dass sie ein Zungenpiercing
hatte. Das Piercing faszinierte mich zusätzlich. Diese
Erfahrung hatte ich bisher noch nicht gemacht. Ich war neugierig!
Ich musste dieser Angelegenheit einfach aus rein investigativer
Motivation auf den Grund gehen.
Aber noch bevor ich den Mut fand, sie anzusprechen, trat
ein Mann an sie heran, sprach kurz mit ihr und küsste
sie. Dann ging er. Ich erkannte meine Chance und machte sie
völlig betrunken und hemmungslos an:
'Das kann ich besser!'
'Was kannst Du besser?'
'Küssen!'
'Küssen?'
'Ja! Ich verspreche Dir nicht, dass Du die Engel singen hörst,
aber ich kann Dich küssen, so dass Du weiche Knie bekommst.'
'Du bist doch auch nur ein weiteres Großmaul!'
Ich schenkte ihr ein verschmitztes Lächeln, dann neigte
ich meinen Kopf zu ihr herab und sie streckte sich mir entgegen.
Ich blickte ihr tief in die Augen, bevor sich unsere Lippen
trafen. Ich spürte ihre weichen vollen Lippen. Meine
Zunge stieß in ihren Mund. Ihre Zunge erwiderte das
Spiel. Ich spürte ihr Piercing, was mich faszinierte
und erregte. Wir küssten uns leidenschaftlich. Ich strich
ihr durch ihre Haare und packte ihren Nacken. Dann wanderte
meine linke Hand zärtlich über ihren Rücken
herunter zu ihrem Po, während meine rechte noch immer
ihren Nacken liebkoste und durch die Haare strich. Sie umarmte
mich und drückte sich fest an mich. Ich spürte ihre
festen Brüste auf meinem Körper. Nach einer süßen
Ewigkeit küsste ich ihr zärtlich auf den Hals, bevor
ich sie aus meiner Umklammerung entließ, wobei ich sie
weiterhin an der Hand hielt.
'Okay!'
'Was ist okay?'
'Du bist wirklich ein guter Küsser!'
'Mit Dir ist es leicht! Du bist phantastisch!', erwiderte
ich. 'Und Dein Zungenpiercing ist echt geil!', dachte ich,
sagte es aber nicht.
'Mal was ganz anderes, was für Musik hörst Du sonst
so?'
'Harter Themenwechsel und eine gemeine Frage, denn wenn ich
ehrlich antworte, ergreifst Du eh direkt die Flucht.'
'Bitte, sei ehrlich!'
'Nun gut, ich höre gerne Country-Musik! Du bist jetzt
sicher schockiert beziehungsweise gelangweilt und willst am
liebsten die Flucht ergreifen, oder?'
'Nein! Überhaupt nicht! Warum? Ich höre auch Country.'
Nach dieser Antwort fiel ich direkt auf die Knie und blickte
dieser wunderbaren Frau aus der Froschperspektive direkt in
die Augen.
'Bitte, heirate mich!'
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