Voodoo-Frühstück
Ein tiefbassiges Dröhnen aus der Mitte meines Schädels
riss mich aus dem Schlaf. Mein Nacken war verspannt und in
ihm steckten mindestens 384 Nadeln. Mir war schummrig und
flau und kotzübel. Außerdem hatte ich eine beängstigende
Sehstörung. Nicht nur, dass ich schielte, wie Clarence,
der Löwe aus der Fernsehserie 'Daktari', ich nahm meine
Umgebung auch nur noch in Schwarz/Weiß wahr. Ich hatte
einen inkommensurablen Kater.
Trotz, oder gerade wegen, aller Schmerzen, versuchte ich
irgendwie meine Hausapotheke, die Schublade in der Küche
mit all den bunten Pillen, zu erreichen. Meine Beine waren
mir dabei keine große Hilfe. Denn in der letzten Nachten
hatten sie eine eigenartige Mutation erfahren und waren am
heutigen morgen aus Götterspeise. Ich entschied mich,
zu robben.
Das Dröhnen aus der Mitte meines Hirns wurde stärker
und pulsierte mittlerweile mit meinem rasenden Herzschlag.
Aber ich nahm noch ein weiteres befremdliches Pulsieren in
meiner Lendengegend wahr.
Ich blickte an mir herunter und was ich sah, irritierte mich.
Ich war vollständig bekleidet: Pullover, T-Shirt, Jeans,
hoffentlich auch Shorts, Socken und auch noch Schuhe. Ich
notierte mir kurz: Bett frisch beziehen!
Ganz langsam wurde mir klar, was die Ursache für das
verstörende Pulsieren nahe meiner Kronjuwelen war. Mein
Handy! Doch nicht Hodenkrebs, wie ich befürchtete hatte.
Glück gehabt! Das Handy, das noch immer in meiner Hosentasche
steckte, vermeldete vehement und vibrierend einen Anruf. Ich
drehte mich auf den Rücken und fingerte unbeholfen an
meiner Hose rum, bis ich das Telefon endlich zu fassen kriegte
und zu meinem Ohr führte.
'Mein Name ist Jerry Cotton. Ich bin Special Agent des FBI.
Und...'
Ein herzhaftes Lachen vom anderen Ende der Leitung unterbrach
meinen Redefluss.
'Du bist definitiv nicht Jerry Cotton!', antwortete eine
rauchige Frauenstimme. 'Du klingst, als ob Du einen Waschbären
im Mund hättest. Du solltest mal Deine Zunge rasieren,
vielleicht nehme ich Dir ja dann den Cotton ab.'
'Und Du klingst ätzend frisch und viel zu gut gelaunt
und überschäumend lebendig!', ich machte eine kurze
Pause, die ich dazu nutzte, mir Klarheit über die Anruferin
zu verschaffen. Ich kannte die Stimme, war ich mir fast sicher.
Aber zu wem gehörte sie? 'Ich weiß nicht, ob ich
das gerade ertrage! Was treibst Du gerade?', fragte ich, um
mir weitere Informationen und Bedenkzeit zu verschaffen.
'Ich sitze hier mit einer Freundin im Vudu-Cafe und warte
auf Dich!'
So ganz allmählich wurde mir diese Unterhaltung unheimlich.
Mit wem sprach ich da überhaupt? Was hat es mit dieser
Freundin auf sich? Hatte ich eine Verabredung vergessen? Mit
wem?
'Wir waren doch gar nicht verabredet!', sagte ich mit Zweifel
in der Stimme.
'Und? Hast Du etwas Besseres vor? Schwing Deinen müden
Arsch hier her. Ich sag es nicht noch einmal, ich erwarte
Dich hier.'
'Gibt es eine besondere Notwendigkeit?', fragte ich, um endlich
einen Hinweis auf die Identität der Anruferin zu bekommen.
'Mann! Hank! Bist Du schwierig! Steig jetzt unter die Dusche
und schwing Dich dann aufs Rad. Seit wann brauchen wir »besondere
Notwendigkeiten«. Sag mal, hörst Du Dir eigentlich
gelegentlich mal selber zu? Du redest manchmal so einen Mist!',
ihre Stimme klang jetzt ärgerlich. 'Komm einfach rüber.
Oder lass es. Ich warte jetzt noch genau 30 Minuten.'
Es machte Klick. Die rauchige Frauenstimme war entschwunden.
Ich stieg, nachdem ich mir ein Cocktail aus Schmerztabletten
verabreicht hatte, unter die Dusche. Währenddessen dachte
ich über das Telefonat und die Anruferin nach. Die bohrenden
Kopfschmerzen, die sich über den Nacken bis zu meinen
Waden hinzogen, verhinderten jeden erkenntnisbringenden Gedanken.
Aber mein Interesse war geweckt. Ich wollte wissen, wer mich
angerufen hatte und mich ganz offenbar gut kannte.
Da ich vom Vudu-Cafe noch nie etwas gehört hatte, also
auch nicht wusste, wo es gelegen war, bestieg ich ein Taxi
und nicht mein übliches Fortbewebungsmittel, das Hollandrad.
Außerdem schmerzte meine Körper, ich war faul,
müde und hatte Angst vor einem strapaziösen Weg.
Das Taxi hielt nach einer nicht mal zehnminütigen Fahrt.
Ich zahlte, gab, weil ich jeglichen Komplikationen ausweichen
wollte, ein viel zu hohes Trinkgeld und stieg mit den immer
passenden Worten, 'Stimmt so! Vielen Dank! Schönes Leben
noch!', hektisch aus.
Als ich mit wackligen Beinen vor dem Vudu-Cafe auf dem Gehsteig
stand, guckte ich erst einmal in den Himmel, wobei ich die
Augen schloss, weil die überströmende Helligkeit
zu sehr schmerzte. Dabei atmete ich vier- oder fünfmal
tief durch und versuchte mich dann zu orientieren, was mir
nicht gelang. Dann riss ich mich, meinen restlichen Mut und
all meine Gliedmaßen zusammen und betrat das Café.
Ich stand in einem dieser exratordinären Räumlichkeiten,
die auf skurrile Weise brutalen Fabrik-Look mit Modern-Style
kreuzte, was ja zurzeit angesagt war und so das hippe und
zahlungskräftige Publikum anlockte. Der Laden war gut
besucht und so hatte ich massive Schwierigkeiten, mir einen
Überblick zu verschaffen. Auf mich prasselten gleichzeitig
viel zu viel Eindrücke nieder: Menschen. Gesprächsfetzen.
Gerüche. Licht.
Mir wurde erst etwas schummrig dann ernsthaft schwindelig.
Ich schloss meine Augen, um mich besser auf meine Beine konzentrieren
zu können. Ich hatte die Befürchtung, dass meine
Beine versagen könnten und ich, wie ein frisch gefällter
Baum geradlinig zu Boden fallen könnte.
Durch die Dunkelheit und durch das alle Sinne betäubende
Stimmengewirr glaubte ich meinen Namen zu hören. Es klang
nach derselben Stimme, die ich auch schon am Telefon gehört
hatte. Trotzdem traute ich mich nicht, meine Augen zu öffnen.
Ich traute der Stimme nicht, ich glaubte an eine Halluzination.
Ich war mir auch gar nicht mehr sicher, ob ich überhaupt
ein Telefongespräch geführt hatte. Ich war gerade
nur froh, dass ich es fertig brachte, zu stehen.
Ich erschrak. Plötzlich spürte ich eine warme,
zarte Hand, die meine Hand fest griff. Eine Frauenstimme,
die Stimme, sagte: 'Hank, komm mit.' Ich wagte noch immer
nicht, meine Augen wieder zu öffnen. Stattdessen ließ
ich mich wie ein Blinder mit selbstaufgeberischem Vertrauen
führen.
Als ich auf einen soliden Stuhl navigiert wurde und mich
wieder einigermaßen sicher fühlte, ließ ich
die Hand, die mich geführt hatte, trotzdem nicht los.
Ich öffnete wieder meine Augen und blickte in ein strahlendes
Gesicht, dass ich sehr gut kannte und ich schämte mich
für meine zeitweilige Amnesie.
'Toll, dass Du endlich hier bist!', sagte die rauchige Stimme.
'Du brachst jetzt sicher erst mal einen großen Topf
Kaffee, nicht wahr?'
'Luci, um ehrlich zu sein, ich bin im Arsch. Kaffee wäre
wunderbar. Du bist wunderbar. Und ein üppiges Frühstück
wäre auch wunderbar.'
'Du bekommst alles, was Du willst!', sagte Luci und schenkte
mir einen verheißungsvollen Augenaufschlag.
Ich hatte ihre Hand noch immer nicht losgelassen.
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