Was - zur Hölle - ist eigentlich mit mir los?
Ich hatte vor gut zwei Jahren diese Stadt
verlassen, um alles hinter mir zu lassen und um endlich zu
mir zu finden.
Die Welt da draußen schien so viele Möglichkeiten
zu bieten. Vor allem bot sie mir die Möglichkeit, Samira
zu vergessen, dachte ich.
Aber genau diese Möglichkeit bot sie mir nicht.
Heute, eine kleine Ewigkeit später, bin ich zurück
in der Stadt. Ich habe die halbe Welt bereist und versucht,
mein altes Leben hinter mir zu lassen.
Aber ich musste einsehen, je älter man wird, desto größer
wird das Bündel, dass man mit sich rumschleppt. Erlebnisse
und Erfahrungen kann man nicht einfach hinter sich lassen,
sie folgen einem, egal wohin man geht.
Und deshalb führte mich meine Flucht auch nirgendwo
hin. Klar, ich habe neue Erfahrungen gemacht, aber dadurch
wurden die alten nicht ausgelöscht. Mein Bündel
wurde nur noch schwerer.
Mit dieser Profunden Erkenntnis bin ich dorthin zurückgekehrt,
wo ich Freunde vermutete. Aber so viele Freunde, wie ich dachte,
gab es auch nicht mehr.
Na ja, ich sollte mich nicht beschweren. Cris
hat mir ein Dach über dem Kopf gegeben und das ohne Fragen.
Bob ist auch für mich da. Und Caro
scheint zurzeit wirklich viel zu tun zu haben - Cris
lamentiert jedenfalls über Liebesentzug, er nennt es
allerdings 'das Fehlen von geilem Sex'. So etwas, egal wie
man es umschreibt, möchte ich eigentlich nicht hören,
denn erstens habe ich auch keinen Sex mit Caro und zweitens
habe ich zurzeit gar keinen Sex.
Um auf andere Gedanken zu kommen durchstöbere ich Cris
CD-Sammlung, die in scheinbar unsortierten Haufen um seine
Hi-Fi Anlage verstreut ist. Diese Anlage verdient mit Fug
und Recht das Prädikat 'High Fidelity'. Sie besteht zwar
nur aus einem CD-Player, einem Verstärker und zwei beeindruckenden
Lautsprechern, aber Cris
hat diese Komponenten mit großer Sorgfalt und Kenntnis
ausgewählt und sich diese Spielzeug auch rund 15.000
Euro kosten lassen. Und diese Investition hört man. Ich
bin immer wieder aufs Neue von dem Klang überrascht und
fasziniert.
Die CD-Haufen scheinen nur auf den ersten Blick willkürlich
zu sein. Beim Durchsehen erkenne ich Cris
System und stoße auf die neue CD von Heather Nova 'Storm'.
Da ich schon eine sehr schmeichelhafte Kritik im Rolling-Stone
Magazin über diesen Tonträger gelesen habe, bin
ich neugierig geworden und lege ihn ein ohne zu bedenken,
was diese Musik bei mir bewirken könnte.
Ich setzte mich in diesen alten, aber außerordentlich
gemütlichen, Ohrensessel der perfekt zu den Lautsprechern
in der Mitte des Raums platziert war und lauschte den ersten
Tönen von 'Let's Not Talk About Love'. Die Stimme von
Heather Nova ergriff mich direkt und stürzte mich in
eine leichte Melancholie - was eine Verbesserung war, denn
vorher fühlte ich mich depressiv.
Ich schaute mir das Booklet an, wie ich es immer tue, beim
ersten Hören eines Tonträgers. Das Front-Cover war
nicht sonderlich beeindruckend, es war eine grobkörnige
schwarz-weiß Fotografie, die Heather Nova unscharf beim
Gitarrenspielen zeigte. Auch das Back-Cover war nicht sonderlich
spannend. Es war zwar irgendwie stylish, aber nicht beeindrucken.
Dann fingerte ich das dünne Booklet aus der CD Hülle
heraus und beim aufklappen erklang der Song 'Drink It In'.
Heathers Stimme packte mich bei den Eiern - und ich meine
das wortwörtlich.
Dieser Song, diese Stimme und dieses Foto bewirkten, dass
ich wieder einmal unglücklich in Heather verliebt war.
Heather singt nicht nur wie ein Engel, sie sieht auch noch
so aus:
Und wieder einmal überkam mich die törichte Vorstellung,
Heather würde einmal einen Song nur für mich schreiben.
Bei diesem Gedanken fühlte ich mich sehr wohl und gleichzeitig
sehr verloren.
Heather würde natürlich nie einen Song über
mich oder für mich schreiben. Das war sicher.
Und Samira würde
mich nie wieder lieben.
"Nicht dass ich zur Liebe nicht fähig wäre,
nur finde ich die Liebe so seltsam wie Schuhe tragen."
(Gregory Corso)
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